Vorlesung "Weltwirtschaftsgeographie" SS 2000
Prof. Dr. Hans H. Blotevogel
Mo 14-16, MG 467
 
 
Kapitel
Datum
Download
01 Einleitung: Was ist Weltwirtschaftsgeographie? Programm der Vorlesung, Basisliteratur; historische Entwicklung der Weltwirtschaftsgeographie 17.04.  42,5 kB
02 Was heißt "Globalisierung"? Internationalisierung, Raum-Zeit-Konvergenz und die "neue Geoökonomie" 17.04.  49,5 kB
03 Die Genese des kapitalistischen Weltsystems im Zeitraffer 08.05.  63,5 kB
04 Die geoökonomische Weltkarte: Räumliche Muster in Produktion, Handel und Investitionen 15.05.  48 kB
05 Traditionelle Theorieansätze zur Erklärung der räumlichen Struktur und Dynamik der Weltwirtschaft und die Rolle der Politik 29.05.  70,5 kB
06 Die Rolle des technologischen Wandels  05.06.  40,5 kB
07 Die Rolle transnationaler Unternehmen und neuere theoretische Ansätze zur Erklärung der räumlichen Struktur und Dynamik der Weltwirtschaft 19.06.  43,5 kB
08 Sektorale Betrachtung: Agrarwirtschaft - Beispiel:
Bananen 
entfällt  30,5 kB
09 Sektorale Betrachtung: Beispiel Textil- und Bekleidungsindustrie  26.06.  43,5 kB
10 Sektorale Betrachtung: Beispiel Automobilindustrie  03.07.  63 kB
11 Sektorale Betrachtung: Beispiel Elektronikindustrie 10.07.  55 kB
12 Sektorale Betrachtung: Die Internationalisierung von Dienstleistungen entfällt  
13 Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung auf die Lebensbedingungen, insbesondere in der sog. "Dritten Welt" entfällt  42,5 kB

 

Basisliteratur:

Dicken, Peter (1998): Global shift. Transforming the world economy.
3. Aufl. London: Chapman. 496 S.
 
 
 
 

Kapitel 1 Einleitung: Was ist Weltwirtschaftsgeographie?
Programm der Vorlesung, Basisliteratur; historische
Entwicklung der Weltwirtschaftsgeographie

Spezialliteratur:

Altenburg, Tilman (1996): Entwicklungsländer im Schatten der Triade? Implikationen des postfordistischen Strukturwandels in der Industrie. In: Zs. f. Wirtschaftsgeogr. 40, S. 59-70.

Überprüft die These, dass die Entwicklungsländer im Rahmen der postfordistischen industriellen Arbeitsteilung weiter marginalisiert werden. Im Rahmen einer theoretischen Erörterung werden mögliche Chancen und Risiken der EL abgeleitet; als Fazit wird herausgestellt, dass zwar keine generelle Abkopplung zu befürchten ist, weil Produktionsverlagerungen in Billig-Lohnländer anhalten, aber die Dominanz der transnationalen Unternehmen aus den IL und das wissenschaftlich-technische Gefälle werden anhalten.

Beck, Ulrich (1997): Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 270 S. = Edition Zweite Moderne.

Anregende Analyse aus soziologischer Sicht, insbesondere über die politischen Implikationen des Globalisierungs-Diskurses. Unterscheidet zwischen "Globalität" (= Auffassung, dass wir längst in einer Weltgesellschaft leben, in der die Vorstellung geschlossener Räume fiktiv wird), "Globalisierung" (= Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, insb. TNCs, unterlaufen werden) und "Globalismus" (= ideologische Auffassung von Globalisierung als vermeintlicher Sachzwang). Im Begriff der "Glokalisierung" wird die enge Verknüpfung von Lokalität und Globalität zum Ausdruck gebracht.

Bös, Mathias und Christian Stegbauer (1997): Das Internet als Globalisierungsprozeß: Zur Dialektik weltweiter Entgrenzung. In: Stefan Hradil (Hg.): Differenz und Integration. Die Zukunft moderner Gesellschaften. Verhn. d. 28. Kongresses d. Dt. Ges. f. Soziol. in Dresden 1996. Frankfurt a.M.: Campus. S. 650-662.

Argumentiert eingangs gegen die Auffassung der Globalisierung als einer undifferenzierten Entgrenzung. Die Hauptthese ist, dass gerade das Internet mit seiner inneren Dynamik zur Ausweitung, Ausdifferenzierung und Visualisierung zwar alte Kommunikationsgrenzen überschreitet, damit aber selbst wieder neue Grenzen aufbaut. Es kommt zu einer Verschiebung von Grenzverläufen, nicht aber zu deren Aufhebung.

Bohle, Hans-Georg und Elvira Graner (1997): Arme Länder - reiche Länder. Neue Untersuchungen über Nachhaltigkeit und den Reichtum der Nationen. In: Geogr. Rundsch. 49, S. 735-742.

Ausgehend vom Nachhaltigkeits-Gebot wird über neue Ansätze berichtet, das "Kapital" der Länder umfassender zu erfassen und den traditionellen BIP-Indikator um die Indikatoren des Sachkapitals, des Humankapitals und des Naturvermögens zu ergänzen.

Brunn, Stanley D. und Thomas R. Leinbach (Hg.) (1991): Collapsing space and time. Geographic aspects of communications and information. London: Harper Collins.

Sammelband mit originellen Beiträgen zur sog. 'Raum-Zeit-Konvergenz' unter besonderer Berücksichtigung von Informations- und Kommunikationstechnologien.

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hg.) (1996): Bericht über die menschliche Entwicklung 1996. Veröffentlicht f. d. Entwicklungsprogramm d. Vereinten Nationen (UNDP). Bonn: UNO-Verl. 263 S.

Ausführlich über "menschliche Entwicklung", die indikatorengestützt ermittelt wird, und wirtschaftliches Wachstum, das teilweise davon abgekoppelt ist.

Friedrichs, Jürgen (1997): Globalisierung - Begriff und grundlegende Annahmen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 33-34, S. 3-11.

Unter Globalisierung wird die weltweite Vernetzung ökonomischer Aktivitäten verstanden. Prozess der Zunahme der Vernetzung beruht auf drei Annahmen: 1) die Abhängigkeits-Annahme, 2) die Verlagerungs-Annahme, 3) die Konzentrations-Annahme. Wegen des zunehmenden Bedarfs an Kontroll- und Koordinationsaufgaben wachsen diese besonders und konzentrieren sich in Global Cities. Behandelt dann in knapper Form Ursachen und Folgen der Folgen der Globalisierung. Polarisierende Auswirkungen müssen von "der Gesellschaft" in Form von Sozialleistungen getragen werden.

Gruppe von Lissabon, Die (Hg.). (1997): Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit. München: Luchterhand. 224 S. (Orig.: Group of Lisbon: Limits of competition. Cambridge, Mass.: MIT Press 1995).

Auf Initiative von Riccardo Petrella arbeitete eine internationale Expertengruppe 1992-95 an diesem Dokument. Zentrale Aussagen: ungezügelter Wettbewerb zerstört die Weltzivilisation; deshalb benötigen wir neue globale Sozialverträge. Wirtschaftlicher und politischer Wettbewerb ist wichtiges Grundprinzip unserer Gesellschaftsordnung. Demokratie beruht auf grundlegenden Vereinbarungen über die Spielregeln, die verhindern, dass sich die Konkurrenten gegenseitig vernichten und statt dessen Konflikte in Verhandlungen lösen. Seit den 70er Jahren neue Ära des Wettbewerbs: Wettbewerb beschreibt nicht nur die Funktionsweise einer bestimmten Marktform, sondern ist zur Ideologie geworden.

Johnston, R. J., Peter J. Taylor und Michael J. Watts (Hg.) (1995): Geographies of global change. Remapping the world in the late twentieth century. Oxford: Blackwell. 356 S.

Textbook, Beiträge gruppiert zu: geoökon. Wandel, geopolit. Wandel, geosozialer Wandel, geokultureller Wandel, Wandel der globalen Umwelt. D.h. es werden 5 Dimensionen der Globalisierung unterschieden: ökonomische, politische, soziale, kulturelle und ökologische Globalisierung.

Knox, Paul und John Agnew (1998): The geography of the world economy. An introduction to economic geography. 3. Aufl. London: Arnold. 420 S.

Einführendes Lehrbuch mit einfacher Kartographie. Teil 1: Ökonomische Muster, Teil 2: Der Aufstieg der Kernökonomien, Teil 3: Die räumliche Transformation der Peripherie, Teil 4: Ausrichtung auf eine neuen globale Ökonomie.

Koschatzky, Knut (1997): Die ASEAN-Staaten zwischen Globalisierung und Regionalisierung. In: Geogr. Rundsch. 49, S. 702-707.

Anhand von Länder-Indikatoren wird eine Typisierung nach dem Entwicklungsstand vorgenommen und im zweiten Teil die (sehr unterschiedliche) Innovations- und Technologietätigkeit in den Ländern behandelt.

Menzel, Ulrich (1995): Kulturen und Strukturen im Internationalen System - oder: Bilden sich neue Feindbilder heraus? In: Jörg Calliess (Hg.): Der Konflikt der Kulturen und der Friede in der Welt, oder: Wie können wir in einer pluralistischen Welt zusammenleben? Rehburg-Loccum: Ev. Akad. Loccum. S. 139-156. = Loccumer Protokolle 65/94.

Postmoderne Einleitung: Nach dem Ende des West-Ost-Konflikts und der großen Theorien sind nur noch 'Erzählungen' möglich, "bunte Mosaiksteine einer aus den Fugen geratenen Welt, die sich zu keinem einheitlichen Bild mehr zusammenfügen lassen" (S. 140). Referiert dann im folgenden 5 solcher Erzählungen mit teilweise widersprüchlichen Deutungsangeboten: 1. Huntington, 2. Star TV, 3. Rufin, 4. James Kurth, 5. Welt der Quadriga. Fazit: 2 gegenläufige Megatrends: a) Globalisierung und Enträumlichung, b) Fragmentierung und Abschottung.

Menzel, Ulrich (1998): Globalisierung versus Fragmentierung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 266 S. = Edition Suhrkamp 2022.

Gedankenanregende Analyse der Globalisierung aus politikwiss. Sicht. Über die "Endism-Debatte", d.h. seit ca. 1990 wird vielfach "das Ende von ..." ausgerufen. Drei wesentliche Prozesse, die anzeigen, dass um 1990 (Symbol: Fall der Mauer 1989) eine neue Epoche beginnt: 1) Transformation der nationalstaatlich verfassten Industriegesellschaften in globalisierte Dienstleistungsgesellschaften, 2) Neue Weltwirtschaftsregion Ost- und Südostasien, 3) Zerfall der alten kolonialen und postkolonialen Reiche mit neuem Selbstbewusstsein der bisher gedemütigten Kulturregionen. Insofern wird die gegenwärtige Entwicklung durch die Dialektik von "McWorld und Jihad", von "One world – millions of places", von Globalisierung und Fragmentierung geprägt. Weitere Themen: Die Renaissance der Geopolitik, Geoökonomie und Geokultur; Ethnisierung der internationalen Beziehungen, Virtualisierung der Ökonomie und Souverenitätsverlust der Nationalstaaten, Huntington’s Kulturkonflikt-These, Strukturwandel der Weltwirtschaft, Entwicklung in Ostasien, Konsequenzen für Macht, Entwicklung und Frieden.

Nohlen, Dieter und Franz Nuscheler (Hg.) (1993): Handbuch der Dritten Welt. Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. Bonn: Dietz Nachf.

Grundlegendes Werk der Entwicklungstheorie und -politik. Nach dem hier genannten ersten Band folgen regionale Bände zu den einzelnen Kontinenten mit Länderartikeln.

Nuhn, Helmut (1997): Globalisierung und Regionalisierung im Weltwirtschaftsraum. In: Geogr. Rundsch. 49, S. 136-143.

Guter knapper, problemorientierter Überblick zur Einführung. Geht eingangs ein auf die Globalisierung des Handels, des Finanzsystems und der Produktion und behandelt dann Tendenzen zur supranationalen 'Regionalisierung' im europäischen, nordamerikanischen und asiatischen Wirtschaftsraum. Abschließend wird kurz die Dialektik von Globalisierung und Regionalisierung angeschnitten.

Porter, Michael E. (1990): The competitive advantage of nations. London, New York: Free Press. Dt. Übers.: Nationale Wettbewerbsvorteile. Erfolgreich konkurrieren auf dem Weltmarkt. München: Droemer Knaur 1991. 880 S.

Grundlegende Arbeit zur modernen Theorie internationaler Arbeitsteilung und speziell zur Theorie komparativer Wettbewerbsvorteile von Ländern bzw. Volkswirtschaften; betont u.a. die Bedeutung lokal-regionaler Agglomerationsvorteile.

Ritter, Wigand (1994): Welthandel. Geographische Strukturen und Umbrüche im internationalen Warenaustausch. Darmstadt: Wiss. Buchges. 179 S. = Erträge d. Forsch. 284.

Verhältnismäßig traditionelle Darstellung des Welthandels unter Einbeziehung wirtschaftstheoretischer und historischer Aspekte.

Schamp, Eike W. (1996): Globalisierung von Produktionsnetzen und Standortsystemen. In: Geogr. Zs. 84, S. 205-219.

Versuch zu einer begrifflich präziseren Fassung des Globalisierungsbegriffs in der Wirtschaftsgeographie. Eingangs wird G. als ein Prozess auf drei Ebenen verstanden: 1) Ebene des Marktes, 2) Ebene der Standorte, 3) Ebene der Organisation der Produktion. Dann wird die grundlegende Veränderung der Weltwirtschaft zur Verflechtung aufgrund von FDIs herausgestellt und die ermöglichenden Bedingungen dieses Prozesses angesprochen: verändertes institutionelles Umfeld der Unternehmen sowie technische und organisatorische Innovationen. Zum Begriff der Globalisierung S. 209: "Globalisierung wird im folgenden als ein historischer Prozess verstanden, in dem mächtige Akteure eine weltweite Integration von Wirtschaftssektoren und Produktionssystemen bewirken, die zuvor territorial weitgehend getrennt waren." Die darin enthaltenen Aspekte werden näher erläutert. Dann werden die Ebenen der Globalisierung behandelt: 1) globale Märkte, 2) globale Produktionsnetze, 3) Globalisierung von Produktionskonzepten. Abschließend wird auf einige Unklarheiten im Verhältnis von Globalisierung und Regionalisierung aufmerksam gemacht, u.a. auf die mangelnde Festlegung des Maßstabs des Regionsbegriffs.

Sternberg, Rolf (1997): Weltwirtschaftlicher Strukturwandel und Globalisierung. Umfang und Ursachen räumlicher Ungleichgewichte bei sozioökonomischen Indikatoren. In: Geogr. Rundsch. 49, S. 680-687.

Beschreibt anhand von Indikatoren (BIP pro Kopf, HDI, Nationalvermögen) die globalen Disparitäten zwischen den Staaten und diskutiert am Schluß anhand der Handelsströme kurz Tendenzen der Regionalisierung und Tripolarisierung.

Vorlaufer, Karl (1996): Tourismus in Entwicklungsländern. Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Entwicklung durch Fremdenverkehr. Darmstadt: Wiss. Buchges. 257 S.

Ausgezeichnete Darstellung, die eine breite empirische Fundierung mit theoriegeleiteten Fragestellungen verbindet. Allerdings wird die im Untertitel angekündigte Leitfragestellung einer 'nachhaltigen Entwicklung' nur relativ knapp im letzten Kapitel angeschnitten; die Schwerpunkte liegen auf einer Darstellung der globalen Expansion des Tourismus, der Globalisierung der Fremdenverkehrsökonomie, wirtschaftlichen Effekten und Auswirkungen auf die Entwicklung regionaler Disparitäten. Ebenso wie die ökologische Dimension werden auch die sozio-kulturellen Implikationen nur knapp berücksichtigt.
 
 

Historische Entwicklung der "Weltwirtschaftsgeographie"?

Drei große Entwicklungsphasen:

  1. 18. Jh. bis zum Beginn des 20. Jhs., in Schulbüchern auch noch später:

  2. Statistische Beschreibung der Wirtschaft der Erde, d.h. insbesondere der Volkswirtschaften, speziell der Bodenschätze, Produktion und Handelsströme;
    typische Buchtitel: "Geographie und Statistik von ..."
    Blütezeit: Zeitalter des Imperialismus ca. 1880-1918 wegen imperialistischer Kolonialinteressen der Großmächte, insb. auch des Deutschen Reichs als 'Spätkommer'.
  3. Ca. 1918 - ca. 1970: Weltwirtschaftsgeographie als Geographie der 'Wirtschaftsland-

  4. schaften' oder 'Wirtschaftsräume' im weltweiten Vergleich;
    vgl. dazu beispielhaft: Boesch: Weltwirtschaftsgeographie, 1965/1968, und seine programmatische Einleitung.
    S. 13: "Wirtschaftsgeographie handelt in erster Linie von den gegenseitigen Beziehungen, welche zwischen dem Menschen und der Erde bestehen. Diese finden ihren vielfältigen Ausdruck in der großen Zahl der verschiedenartigsten Landschaften. ... Wirtschaftsgeographie ist vor allem Geographie - das heißt, daß ihr Untersuchungsobjekt die Erdoberfläche ist, im Gegensatz zu Nachbarwissenschaften, bei denen die menschliche Gesellschaft oder die Wirtschaft an sich Objekt der Forschung sind."
    Gliederung: 1) Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, 2) Industrialisierung, 3) Räumliche Ordnung der Wirtschaft: Verstädterung, Welthandel.
  5. Seit ca. 1970 bis heute:

  6. Analyse und Darstellung der räumlichen Organisation und Entwicklung der Weltwirtschaft; dabei wird 'Weltwirtschaft' im speziellen Sinne verwendet, nämlich als zunehmend global verflochtene eine Ökonomie der Erde (im Gegensatz zu den traditionell getrennt betrachteten nationalstaatlichen 'Volkswirtschaften'). D.h. Inter- (bzw. Trans-)nationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft werden als entscheidende Prozesse angesehen.
    Dazu beispielhaft: Peter Dicken: Global shift. 1986/92. 3. Aufl. 1998.
    Untertitel 1992: 'The internationalization of economic activity";
    Untertitel 1998: "Transforming the world economy".
    Preface (1992): "The focus of the book (is) an explicit concern with the internationalization and globalization of economic activities. ... The approach taken in this book is that it is primarily the outcome of the complex interaction between transnational corporations and nation-states set within the context of a volatile technological environment. These, I believe, are the three major forces - the primary generators - of global economic change."
Anliegen der Vorlesung: Historische Entwicklung der "Weltwirtschaftsgeographie"?

Drei große Entwicklungsphasen:

(1) 18. Jh. bis Anfang 20. Jh.:
Statistische Beschreibung der Wirtschaft der Erde;
Blütezeit: Zeitalter des Imperialismus ca. 1880-1918.

(2) Ca. 1918 - ca. 1970: Weltwirtschaftsgeographie
als Geographie der 'Wirtschaftslandschaften' oder 'Wirtschaftsräume' im weltweiten Vergleich;

(3) Seit ca. 1970 bis heute:
Analyse und Darstellung der räumlichen Organisation und Entwicklung der Weltwirtschaft;
Inter- (bzw. Trans-)nationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft werden als entscheidende Prozesse angesehen.

Anliegen der Vorlesung: Kapitel 2: Was heißt Globalisierung?

Internationalisierung, Raum-Zeit-Konvergenz und die
"neue Geoökonomie"

Internationalisierung und Globalisierung der Weltwirtschaft sind keine abgehobenen Themen von nur wissenschaftlichem Interesse, sondern betreffen die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar:

Tatsächlich sind dies nicht nur Erfahrungen der Lebenswelt; auch die Wissenschaft sieht in der Internationalisierung und Globalisierung zentrale Prozesse, die die Ökonomie und damit auch die Lebensverhältnisse der Menschen prägen.

Internationale Wirtschaftsverflechtungen hat es gegeben, solange es Nationen gibt. In historischer Sicht waren dies jedoch primär Handelsverflechtungen sowie sekundär Migrations- und Kolonisationsvorgänge (vgl. dazu Kap. 3).

Seit ca. 2-3 Jahrzehnten jedoch eine neue Qualität: Der Austausch von Handelsgütern (und korrelierenden Geldströmen) wird zunehmend ergänzt durch die Internationalisierung der Produktion. Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Institutionen wie Fabrik, Unternehmen, Industrie im wesentlichen nationale Phänomene.

Insb. seit ca. 1960 sind nationale Grenzen keine "wasserdichten Containerwände" mehr, sondern "Siebe". Während früher zwei Faktoren die räumliche Segmentierung der Märkte gewährleisteteten (Transportkosten und politische Grenzbarrieren), sind viele Märkte - insb. von vielen Sachgütern, aber zunehmend auch von Dienstleistungen - international oder sogar global integriert.

Was bedeutet "globale Integration der Märkte"?

1. Beispiel: Bilanz der Deutschen Bank 1995: mit 4,2 Mrd DM zweitbestes Betriebsergebnis (Gewinn vor Steuern) der Geschichte, dennoch 377 Mio DM weniger Ertragsteuern als im Vorjahr. Die Zahl der Beschäftigten stieg im Konzern, und zwar insb. in London, New York und Tokyo, sie ging jedoch in D um 2.500 zurück.

2. Beispiel Pressemitteilung 25.4.1996: Der Siemens-Konzern peilt für das Geschäftsjahr 1996 eine Gewinnsteigerung von 20% an. Der Umsatz sei im ersten Halbjahr um 6% auf 42 Mrd DM gestiegen. Allerdings werde die Mitarbeiterzahl im Inland auch in diesem Jahr leicht sinken, denn die Umsatzsteigerungen würden allein durch die hohen Zuwachsraten auf den internationalen Märkten erzielt.

3. Beispiel: Noch Anfang 1998 war Mercedes-Benz ein deutsches Automobil-Unternehmen, ein global wirksames Symbol deutscher Technologie. Heute ist Mercedes-Benz Teil eines global operierenden Konzerns einschließlich Chrysler, Mitsubishi und Daewoo.

4. Beispiel: Mannesmann galt bis 1999 als Paradebeispiel für ein deutsches ehem. Montan-Unternehmen, das den Strukturwandel in wachstumskräftige Technologiefelder wie kaum ein anderes Unternehmen geschafft hat (bis auf den Rest der Röhrenfertigung). Anfang 2000 wurde es von dem "Nobody" Vodafone aus England übernommen.

Immer wieder hat es Versuche von Ländern gegeben hat, sich wirtschaftlich/politisch/kulturell von der übrigen Welt abzuschotten:

- Japan bis 1867/68 (Meiji-Restauration),

- China (über Jahrhunderte, speziell bis zur gewaltsamen Öffnung der sog. Vertragshafenstädte 1842ff., in gewisser Weise bis zur 'Öffnungspolitik' der Nach-Mao-Ära 1978ff.);

- Länder des real existierenden Sozialismus in Ost- u. Ostmitteleuropa bis 1989/90.

Die Beurteilung dieser aktuellen Prozesse ist in den einschlägigen Wissenschaften jedoch sehr umstritten. Einige beispielhafte Positionen:

Dazu zwei Feststellungen:

(1) Die Formen der Internationalisierung und Globalisierung scheinen sich im Verlauf der Geschichte tatsächlich qualitativ verändert zu haben (dazu Kap. 3). Bis zum Ersten Weltkrieg: ‘schwache’ Integration, bis heute zunehmend: ‘starke’ Integration. Das meint: nicht nur Warenhandel, sondern Internationalisierung der Produktion und des Kapitals.

(2) Tatsächlich ist Globalisierung - auch - ein Diskurselement. Sie eignet sich hervorragend dazu, als exogene Naturgewalt (Sachzwang) hochstilisiert zu werden, dem sich die (meist national oder lokal verfasste) Politik zu beugen habe. Dies korrespondiert mit den Ergebnissen von empirischen Untersuchungen, die zeigen, dass von den meisten Menschen die Globalisierung als undurchschaubare Bedrohung der Lebenswelt wahrgenommen wird.

Erste begriffliche Präzisierung:

Inter- oder Transnationalisierung meint eine einfache Ausdehnung von ökonomischen Aktivitäten über die nationalstaatliche Grenzen hinweg. Das schließt vor allem den internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen ein. I. ist ein quantitativer Prozess, der zu einer Veränderung der räumlichen Muster wirtschaftlicher Tätigkeiten führt.

Globalisierung bezieht sich auf die funktionale Integration der räumlich verstreuten wirtschaftlichen Aktivitäten. G. ist damit ein qualitativer Prozess, der zu einer Veränderung der Koordinationsformen international verteilter wirtschaftlicher Aktivitäten führt.

Dabei wesentlich: Globalisierung führt zwar zu weltweiten Uniformierungen (Marken, Preise, Unternehmensorganisation usw.); die räumlichen (nationalen, lokalen) Ausprägungen und Auswirkungen sind aber keineswegs uniform! (Dazu gleich mehr)

Andere, ähnliche bzw. umfassendere Definitionen von "Globalisierung":

OECD: "Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden - dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegungen von Kapital und Technologie".

Schamp 1996, S. 209: "Globalisierung wird im folgenden als ein historischer Prozess verstanden, in dem mächtige Akteure eine weltweite Integration von Wirtschaftssektoren und Produktionssystemen bewirken, die zuvor territorial weitgehend getrennt waren."

Karl 1998: Prozess der Fallens von Barrieren zwischen nationalen Märkten. Merkmale: Forcierung der Wettbewerbsintensität auf den Güter-, Faktor- und Standortmärkten. Verantwortlich dafür sind gesunkene Mobilitätskosten für Unternehmen, Güter und Faktoren sowie abnehmende Kommunikations- und Transaktionskosten auf international erweiterten Märkten. Folge: gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsgewinne und Chancen, da der Preis- und Qualitätswettbewerb zunimmt und Skaleneffekte wirksam werden.

Neben den ökonomischen Definitionen sind soziologische Definitionen mit einer Erweiterung des Globalisierungsbegriffs zu nennen.

Anthony Giddens (1995:85) versteht unter Globalisierung die Zunahme weltweiter Vernetzung, als "eine Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt." Ökonomische Globalisierung ist ein Unterfall von sozialer Globalisierung.

Nach Ulrich Beck (1997:42) ist Globalisierung "sicher das am meisten gebrauchte – missbrauchte – und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre." Beck unterscheidet zwischen "Globalität" (= Auffassung, dass wir längst in einer Weltgesellschaft leben, in der die Vorstellung geschlossener Räume fiktiv wird), "Globalisierung" (= Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, insb. TNCs, unterlaufen werden und die zu Globalität führen) sowie "Globalismus" (= ideologische Auffassung von Globalisierung als vermeintlicher Sachzwang). Im Begriff der "Glokalisierung" wird die enge Verknüpfung von Lokalität und Globalität zum Ausdruck gebracht.

In der Geographie wird der Begriff der Globalisierung häufig noch stärker erweitert, z.B. von Johnston, Taylor und Watts (1995). Sie unterscheiden fünf Dimensionen der Globalisierung: 1. ökonomische, 2. politische, 3. soziale, 4. kulturelle und 5. ökologische Globalisierung.

Einige Bausteine für die folgenden Analysen

Traditionelle Untersuchungseinheiten der (Welt-)Wirtschaftsgeographie:

a) Nationalstaaten (Makroanalyse),

b) Betriebe/Unternehmen (Mikroanalyse).

Diese Sicht reicht immer weniger aus. Wir benötigen deshalb weitere Bausteine:

Basismodell der Produktionskette (Wertschöpfungskette) (Fig. 1.1)

Zwei wesentliche Dimensionen der Organisation der Produktionskette (Fig. 1.2):
a) Koordination und Regulation, b) geographische Konfiguration.

Eine wesentliche Rolle dabei spielen Transnationale Unternehmen (Transnational Corporations, TNC). Was ist das?

Weite Definition (Dicken): ein Unternehmen, das über die Macht verfügt, wirtschaftliche Tätigkeiten in mehr als einem Land zu koordinieren und zu kontrollieren.

Enge Definition (eher traditionelle, statistische Auffassung): ein Unternehmen, in dessen (ggf. partiellem) Eigentum sich mindestens zwei Betriebe in mindestens zwei Ländern befinden.

Jede Funktion der Produktionskette kann von einem selbstständigen Unternehmen ausgeführt werden. Die Kette besteht dann aus einer Serie von externen (oder: externalisierten) Transaktionen. Die Kette kann aber auch innerhalb eines einzigen Unternehmens organisiert werden; man spricht dann von einer vertikalen Integration; die Transaktionen sind dann selbstverständlich intern bzw. internalisiert.

In der Realität geht es fast immer um einen Mix. Die dabei beteiligten Unternehmen haben aber meist eine sehr unterschiedliche Machtposition. Teilweise dominieren die Hersteller (‘producer-driven chain’), teilweise dominiert der Handel bzw. der Konsum (‘buyer-driven chain’); vgl. Fig. 1.4.

Produktionsketten existieren nicht im luftleeren Raum. Eine wichtige Determinante ist das externe institutionelle System, und darin wiederum: der (National-)Staat. Die Staaten sind seit der frühen Neuzeit wesentliche Rahmensetzer für die Ökonomie; heute spielen zusätzlich suprastaatliche Organisationen (insb. WTO) eine Rolle. Dazu später mehr.

Geographische Konfiguration

Diese Dimension ist für die Geographie natürlich von zentraler Bedeutung. Was ist dran am Gerede vom ‘Ende der Geographie’, ‘Tod des Raums’, ‘Raum-Zeit-Konvergenz’ usw.?

Tatsächlich: Die Transportkosten als wesentlicher raumdifferenzierender Faktor sind heute in vielen Fällen bedeutungslos geworden (und damit ein Großteil der traditionellen raumwirtschaftlichen Theoriebildung!).

Der Bedeutungsverlust der Transportkosten für die Standortbewertung hat mehrere Gründe:

Die Raum-Zeit-Konvergenz

Wichtige Voraussetzung der modernen Internationalisierung bzw. Globalisierung der Wirtschaft zur "Weltwirtschaft": die sog. "Raum-Zeit-Konvergenz", auch "Raum-Zeit-Kompression" genannt.

Traditionelle, dem Geographen gewohnte Darstellung der Erdoberfläche: auf Karten mit euklidischen Koordinaten des physischen Raums (Projektion der Erdkugel auf die Kartenebene). Dieser "Raum" verändert sich natürlich nicht (Vielleicht tendieren Geographen bisweilen auch deshalb zu einer Unterschätzung der weltwirtschaftlichen Dynamik, weil sie traditionellerweise mit Karten arbeiten, die den Raum als stabile, wenig veränderliche physische Struktur darstellen).

Alternative Bezugskoordinaten mit alternativen "Raum"-Konzepten: statt des physischen Raums z.B. Zeitkoordinaten, d.h. statt des "Raum-Raums" betrachten wir den "Zeit-Raum" (Bekanntlich ist der Raumbegriff ja nicht beschränkt auf den physischen Erd-Raum, er kann verallgemeinert werden, insb. zu Merkmals-Räumen z.B. in einem Diagramm, bei dem die Achsen durch inhaltliche Merkmale aufgespannt werden).

Durch solche kartenähnlichen Abbildungen lässt sich veranschaulichen, wie durch die Erhöhung der Transportgeschwindigkeiten und durch den Verfall der Transportkosten der Raum "geschrumpft" ist, wie der "Raumwiderstand", der raumüberwindenden Verflechtungen entgegensteht, immer weiter zurückgegangen ist. Beispiele dazu findet man in dem Buch von A. Gatrell (1983): Distance and space. Oxford: Clarendon. 195 S.

Von fundamentaler Bedeutung für die geographische Konfiguration bleiben jedoch:

Dadurch entstehen lokalisierte ökonomische ‘Cluster’, die dazu tendieren, ihre Struktur zu erhalten und kumulativ zu wachsen (oder zu schrumpfen). Man spricht hier von einer "Pfadabhängigkeit" (engl.: ‘path dependecy’) regionaler Entwicklungsprozesse; die Entwicklungen bilden sog. "Trajektorien" (engl. ‘trajectories’, wörtl.: ‘Flugbahnen’) mit einer relativ großen Strukturstabilität im Raum und über größere Zeiträume. Insofern bleibt die Raum- und Zeitgebundenheit der ökonomischen Entwicklung wesentlich.

Die "neue Geoökonomie" ist insofern ein räumlich inhomogenes, hochkomplexes und dynamisches Netz von Produktionsketten, Wirtschaftsräumen und Orten, die durch Verflechtungen und "Flüsse" miteinander verknüpft sind. Wir können analytisch unterscheiden (Fig. 1.6):

a) die vertikale Dimension (einzelne Sektoren und TNCs),

b) die räumliche Dimension mit unterschiedlichen territorialen Systemen.

Auswirkungen der Globalisierung

Globalisierung führt nicht einfach zu einer Homogenisierung und schon gar nicht zu einer Vereinheitlichung der globalen Lebensverhältnisse, sondern im Gegenteil zu mehrfachen Asymmetrien:
- ökonomische Asymmetrien (reiche/arme, leistungsfähige/weniger leistungsfähige Länder,
- politische Asymmetrien: Macht/Abhängigkeit,

- kulturelle Asymmetrien: aggressiv expandierende sog. westl. Kultur,
- Asymmetrie der Umweltqualität: nur reiche Länder können Umweltstandards sichern,

- Asymmetrie der Sicherheit: Bürgerkriege (Ruanda, Sudan),

- Asymmetrie der Ernährungssituation, der medizin. Versorgung,

- Asymmetrie der Überlebenschancen.

Diese vielfältigen Wechselwirkungen und Auswirkungen können in der Vorlesung nicht umfassend und lückenlos behandelt werden.

Statt dessen: Fokussierung auf wirtschaftliche Globalisierung.
Warum? Das ökonomisch-technische System ist heute wahrscheinlich der maßgebliche Motor der Globalisierung; das ökonomisch-technische System (mit seinen Medien Geld und Wissen) entscheidet (wenigstens auf globaler Ebene) auch über Machtverhältnisse (nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie).

Die EINE Welt ist vergleichbar einem komplexen System vielfach kommunizierender Röhren. Kein Land, keine Region kann sich "abkoppeln", ist autark. Ein Teilsystem dieser "Röhren" wird in der Vorlesung thematisiert.
 
 

Einige kontroverse Einschätzungen der Globalisierung:

Erste begriffliche Präzisierung: Inter- oder Transnationalisierung: einfache Ausdehnung von ökonomischen Aktivitäten über die nationalstaatliche Grenzen, insb. durch Handel mit Waren und Dienstleistungen ein.
I. ist ein quantitativer Prozess.

Globalisierung: funktionale Integration der räumlich verteilten wirtschaftlichen Aktivitäten. G. ist vor allem ein qualitativer Prozess, der zu einer Veränderung der Koordinationsformen international verteilter wirtschaftlicher Aktivitäten führt.

Ähnliche Definitionen von "Globalisierung": OECD: "Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden - dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegungen von Kapital und Technologie".

Schamp 1996, S. 209: "Globalisierung wird im folgenden als ein historischer Prozess verstanden, in dem mächtige Akteure eine weltweite Integration von Wirtschaftssektoren und Produktionssystemen bewirken, die zuvor territorial weitgehend getrennt waren."

Karl 1998: Prozess der Fallens von Barrieren zwischen nationalen Märkten. Merkmale: Forcierung der Wettbewerbsintensität auf den Güter-, Faktor- und Standortmärkten.

Soziologische Definitionen (inhaltlich weiter gefasst):

A. Giddens (1995:85) versteht unter Globalisierung die Zunahme weltweiter Vernetzung, als "eine Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt."

U. Beck unterscheidet zwischen "Globalität" (= Auffassung, dass wir längst in einer Weltgesellschaft leben, in der die Vorstellung geschlossener Räume fiktiv wird), "Globalisierung" (= Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, insb. TNCs, unterlaufen werden und die zu Globalität führen) sowie "Globalismus" (= ideologische Auffassung von Globalisierung als vermeintlicher Sachzwang).
Im Begriff der "Glokalisierung" wird die enge Verknüpfung von Lokalität und Globalität zum Ausdruck gebracht.

In der Geographie wird der Begriff der Globalisierung häufig noch mehr erweitert, z.B. von Johnston, Taylor und Watts (1995): fünf Dimensionen der Globalisierung:
1. ökonomische,
2. politische,
3. soziale,
4. kulturelle und
5. ökologische Globalisierung.

Einige Bausteine für die folgenden Analysen Basismodell der Produktionskette (Wertschöpfungskette)
mit zwei wesentlichen Dimensionen:
a) Koordination und Regulation,
b) geographische Konfiguration.
Transnationale Unternehmen (Transnational Corporations, TNC): Weite Definition (Dicken): ein Unternehmen, das über die Macht verfügt, wirtschaftliche Tätigkeiten in mehr als einem Land zu koordinieren und zu kontrollieren.

Enge Definition (traditionelle, statistische Auffassung): ein Unternehmen, in dessen (ggf. partiellem) Eigentum sich mindestens zwei Betriebe in mindestens zwei Ländern befinden.

Jede Funktion der Produktionskette kann von einem selbstständigen Unternehmen ausgeführt werden: Serie von externen (oder: externalisierten) Transaktionen. Die Kette kann aber auch innerhalb eines einzigen Unternehmens organisiert werden: vertikale Integration; die Transaktionen sind intern bzw. internalisiert.

Produktionsketten sind eingebettet in das institutionelle System der Gesellschaft. Besonders wichtig: (National-)Staat, heute zusätzlich: suprastaatliche Organisationen (insb. WTO).

Geographische Konfiguration

Der Bedeutungsverlust der Transportkosten für die Standortbewertung aus mehreren Gründen:

Raum-Zeit-Konvergenz (Janelle) bzw. Raum-Zeit-Kompression (Harvey)

Für die geographische Konfiguration bleiben jedoch wichtig:

Folge: lokalisierte ökonomische ‘Cluster’, die dazu tendieren, ihre Struktur zu erhalten und kumulativ zu wachsen bzw. schrumpfen).

Diese Persistenz bezeichnet man auch als "Pfadabhängigkeit" (engl.: ‘path dependecy’) regionaler Entwicklungsprozesse.

Die Entwicklungen bilden sog. "Trajektorien" (engl. ‘trajectories’) mit einer relativ großen Strukturstabilität im Raum und über größere Zeiträume.

Die "neue Geoökonomie" ist ein räumlich inhomogenes, hochkomplexes und dynamisches Netz von Produktionsketten, Wirtschaftsräumen und Orten.

Wir können analytisch unterscheiden:

a) die vertikale Dimension (einzelne Sektoren und TNCs),

b) die räumliche Dimension mit unterschiedlichen territorialen Systemen.


 
 

Kapitel 3 Die Evolution des kapitalistischen Weltsystems im Überblick

Basisliteratur:

Wallerstein, Immanuel (1974/89): The modern world-system. Vol. 1: Capitalist agriculture and the origins of the European world-economy in the 16th century. New York: Academic Press 1974. Vol. 2: Mercantilism and the consolidation of the European world-economy, 1600-1750. New York: Academic Press 1980. Vol. 3: The second era of great expansion of the capitalist world-economy, 1730-1840s. San Diego, Cal.: Academic Press 1989.
Dt. Übers.: Das moderne Weltsystem: Kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Syndikat 1986. 595 S.

Taylor, Peter J. (Hg.) (1993): Political geography of the twentieth century. A global analysis. London: Belhaven. 269 S.

Taylor, Peter J. (1996): The way the modern world works. World hegemony to world impasse. Chichester: Wiley. 276 S.

Taylor, Peter J. und Colin Flint (1999): Political geography. 4Harlow: Longman. 416 S.
 
 

Ziel dieses Kapitels: Historischer Rückblick auf die Genese der globalen Verflechtungen. Die heute bestehende Weltwirtschaft mit ihrer zunehmenden globalen Integration ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses. Diese Entwicklung ist nie nur eine Frage der Märkte und der räumlichen Integration der Märkte gewesen, sondern war immer mit Machtbeziehungen verknüpft. Für den historischen Rückblick wird deshalb ein politisch-ökonomischer Ansatz gewählt.

Vorneuzeitliches Systeme

Vor der Entstehung des "modernen Weltsystems" im Sinne Wallersteins hat es zwar auch Ansätze zu "Quasi-Weltreichen" gegeben (z.B. Römisches Reich, Chinesisches Kaiserreich), doch diese Reiche basierten primär auf politischer und militärischer Macht, während die wirtschaftlichen Verflechtungen nur gering ausgebildet waren.

Die vorneuzeitlichen Handelssysteme bestanden i.d.R. aus zwei Ebenen:

a) Nahhandel, insb. Stadt-Umland-"Tauschkreise" (Nahrungsmittel und textile Vorprodukte gegen handwerkliche Gebrauchsgüter wie Eisenwaren, Bekleidung);

b) Fernhandel, beschränkt auf Güter, die in der häuslichen Subsistenzwirtschaft nicht hergestellt werden konnten (Salz, Gewürze, später auch Eisenwaren, Seide usw.); der Konsum dieser Waren beschränkte sich auf eine sehr dünne reiche Bevölkerungsschicht.

Im Hochmittelalter entstanden einerseits Territorialstaaten, die sich teilweise später durch interne Homogenisierung zu Nationalstaaten entwickelten, andererseits mächtige Stadtwirtschaften mit zwei Zentren: a) Norditalien, b) Flandern-Norddeutschland-Ostseeraum.

Hochmittelalter (ca. 1150-1300): Epoche der Expansion: deutsche Ostkolonisation, Expansion der Engländer nach Schottland und Irland, Kreuzzüge nach Palästina, Zurückdrängung der Mauren auf der iberischen Halbinsel, Binnenkolonisation durch Rodung etc.

Bis zur Schwelle zur Neuzeit bestand die Welt nicht aus einem zusammenhängenden System, sondern aus einer Gruppe von regionalen Systemen mit teilweise bemerkenswert großen Städten, die jedoch untereinander kaum Kontakt hatten. Beispielsweise wurde das Bild, das die Europäer im Spätmittelalter von Ostasien hatten, im Wesentlichen geprägt von 1) der Geographie des Ptolemäus (2. Jh.) und 2) von den Reiseberichten des Venezianers Marco Polo (angeblich 1271-95 in China). Über Japan ("Zipangu") gab es nur sagenhafte Vorstellungen.

Krise des Spätmittelalters (1300-1450)

Hypothesen über mögliche Ursachen:

Warum Portugal (und nicht z.B. Italien)? a) exponierte Lage in SW-Europa, b) Seefahrertradition, c) genügend Kapital vorhanden, d) stabiler, potenter Staat.

Ziel der neuen Expansion: Gold und Silber, Nahrungsmittel und Gewürze, textile Rohstoffe.

In Europa bestanden die Voraussetzungen für die globale Expansion, nicht in China. Dabei ist weniger entscheidend, ob Europa im 15. Jh. bereits technisch überlegen war (eher nicht!); wichtiger war, dass China durch den Reisanbau die "innere Kolonisation" vorantrieb, während in den frühen Nationalstaaten Portugal, Spanien, Frankreich und England keine größeren Raumreserven mehr bestanden (im Unterschied beispielsweise zu China und Russland).

1. Phase ca. 1450 - ca. 1580: Portugal und Spanien

In den Jahrzehnten um 1500 neues Phänomen: "Weltsystem" ("world system").
D.h. es umgreift ökonomisch und politisch und kulturell mehrere Imperien, die bis dahin über 5.000 Jahre die räumlichen Einheiten der Weltgeschichte gewesen waren.

16. Jh.: Ausgedehntes, aber schwaches Weltsystem, das folgende Räume umfaßte: NW-Europa, Mitteleuropa, Ostseeraum, christlicher Mittelmeerraum, ferner Lateinamerika, soweit in die Verwaltungsherrschaft der Spanier und Portugiesen einbezogen.

Entfaltung des Kapitalismus im 16. Jh.; Motoren dieser Entwicklung: Gold und Silber aus der Neuen Welt bedeuteten erhebliches zusätzliches Kapital. Treibende Kraft: zunächst Königshöfe; Expansion des Handels; Wandel in der landwirtschaftlichen Arbeit, insb. marktorientierte Landwirtschaft in der europäischen Peripherie.

Zweiter Expansionsprozess: Ausbreitung des Islam nach Südasien und Afrika.

Folgen:

1) Großräumige Arbeitsteilung zwischen Zentrum, Semiperipherie und Peripherie; diese korrespondierte mit unterschiedlichen Organisationsformen der Arbeit, Klassenstrukturen und Staatsformen.

2) Staaten spielten eine bedeutende Rolle; starke Zentralisierung in den Staaten des Zentrums, da hier die Mittel zum Aufbau kostspieliger Verwaltungsapparate und prunkvoller Höfe vorhanden waren. Dabei ist aber nicht eindeutig, was Ursache und Folge war: starke Staaten konnten die interkontinentale Expansion vorantreiben; die daraus erzielten Einkünfte stärkten wiederum diese Staaten.

3) In den Zentren der Weltwirtschaften standen Welthandelszentren, in denen Waren, Kapital und Informationen zusammenflossen, d.h. "Clearing-Zentren" für die ökonomische Dimension der Weltsysteme; historische Abfolge: Venedig (14./15. Jh.), Lissabon (1450-1530), Antwerpen (16. Jh.), Genua (16. Jh.), Amsterdam (ab 1579, dann 17. Jh.), London (2. H. 17. Jh.-19. Jh.).

Führende Staaten des Zentrums:

1) zunächst Venedig und andere italienische Stadtstaaten (Genua, Florenz, Pisa),

2) ab ca. 1470 Portugal (ca. 1450-1530),
Expansionsziel: primär Brasilien, sekundär: Hinterindien.

3) Spanien, insb. unter Karl V (ca. 1530- ca. 1556); Bankrott des spanischen Habsburgerreichs (1557), Niederlage Spaniens gegen die Niederlande (1576), Niederlage der Armada (1588).
Expansionsziel: primär Mittel- und Südamerika, sekundär: Hinterindien (Philippinen)

Peripherie des europäischen Weltsystems: Lateinamerika, Ostmitteleuropa. Diese Länder lieferten in einem Abhängigkeitsverhältnis Güter für das Zentrum. Wallerstein unterscheidet davon die sog. "Außenarena", deren Länder nur durch Spezialhandel, insb. von Gewürzen, Luxusgütern etc., mit dem Zentrum verbunden waren, z.B. Indien, Ostasien, Russland.

2. Phase ca. 1580 - ca. 1800: Holland, England und Frankreich

In der zweiten Hälfte des 16. Jhs. verschiebt sich der wirtschaftliche, politische und kulturelle Schwerpunkt vom mediterranen Südeuropa immer mehr zum atlantischen Nordwesteuropa. Ursachen: Reformation, erstarkende Königshäuser, kapitalkräftige Kaufleute.

Im 16. Jh. bildet zunächst Flandern (spanische Niederlande), insb. Antwerpen, den Schwerpunkt; ab ca. 1580 immer stärker die nördlichen Niederlande (Holland).

In der zweiten Hälfte des 17. Jhs. überflügelt England immer mehr das kleine Holland. Das 18. Jahrhundert wird geprägt von der Rivalität zwischen England und Frankreich. Nach zahlreichen Kriegen und Friedensverträgen kann England schließlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Konkurrenzkampf für sich entscheiden und wird zur globalen Hegemonialmacht.

England und Frankreich waren merkantilistische feudale bis semifeudale Nationalstaaten mit einer straffen, relativ effizienten Zentralisierung (im Unterschied zu Italien und Deutschland). Vorteil Englands: evolutionäre Anpassung der Gesellschaftsordnung an das Machtstreben des aufkommenden Bürgertums, in Frankreich dagegen stärkere Position des Adels und schließlich Revolution.

Um 1800 Höhepunkt des frühkolonialen Systems mit Waren- und Sklavenhandel (aber noch kaum Besiedlung der Kolonien durch Europäer).

Führende Staaten des Zentrums:

4) Holland, ab ca. 1579 nach der Wanderung Antwerpener Kaufleute (Protestanten und Juden) nach Amsterdam; ab ca. 1609 wird Holland zur Weltmacht (17. Jh. = "goldenes Jahrhundert") und Amsterdam zu einem dreifachen Weltzentrum: a) Warenhandel, b) Schifffahrt, c) Kapitalmarkt. Grundlagen: überlegene Schiffstechnik, Kapital der Kaufleute, protestantische Ethik. Politische Forderung: "freie Meere", auch militärisch garantiert.
Expansionsziel: primär: Hinterindien (Java), Südafrika, Karibik.

5) England: ab ca. 1600 immer mehr in Konkurrenz zu Holland und seit ca. 1700 eindeutig dominierend; dabei sind das aufkommende Bürgertum und die gentry maßgeblich.

Expansionsziele: (Vorder-)Indien, Nordamerika, Südostasien, Australien, Afrika, Vorderer Orient. 6) Frankreich: seit dem 17. Jh. und während des gesamten 18. Jhs. tritt Frankreich (stärker feudalisierter Zentralstaat) in eine heftige Konkurrenz zu England.
Expansionsziele: Nordamerika (Québec, Louisiana), Afrika, Südostasien (Indochina).

Semiperipherie: Mittel- und Südeuropa,

Peripherie: Osteuropa, Nordamerika, Lateinamerika, Australien, zunehmend auch Süd- und Südostasien. 3. Phase ca. 1800 - 1918 ("langes 19. Jh."): Großbritannien

Das "lange 19. Jahrhundert" ist das Jahrhundert Großbritanniens; allerdings entsteht in der zweiten Hälfte eine zunehmende Konkurrenz durch Deutschland und die USA, die ab 1900 schließlich Großbritannien überflügeln.

Entscheidende Pfeiler der globalen Hegemonie Großbritanniens:

- frühe Industrialisierung (technologischer Vorsprung des "1. Kondratieff-Zyklus; ursächlicher Zusammenhang mit Kolonien ist umstritten), - militärische, politische und ökonomische Beherrschung der Weltmeere,
- Aufbau des weltweiten Commonwealth.

Unterphase ca. 1871 bis 1918:

Periode des Imperialismus und der Hochindustrialisierung. Ein Wettlauf der imperialen Mächte um die Gewinnung der Kolonien und um die Aufteilung der Erde in koloniale Macht- und Einflusssphären setzt ein. Die größten Kolonialreiche sind im Besitz von Großbritannien und Frankreich. Die USA betrachten Lateinamerika als ihre ökonomische Einflusssphäre. Die "Spätkommer" Deutschland und Japan versuchen, in dem Wettlauf eigene Kolonialreiche zu etablieren.

4. Phase 1918 bis ca. 1973: USA.

Schon gegen Ende der dritten Phase hatte sich der Schwerpunkt der Produktion immer mehr in die USA verschoben: 1913: Weltindustrieproduktion USA 36%, UK nur noch 14%.

Nach dem Ersten Weltkrieg setzt sich von den USA ausgehend in den Ländern des Zentrums das System des "Fordismus" durch. Benannt nach dem Erfinder der Fließbandfertigung Henry Ford bezeichnet es eine bestimmte politisch-ökonomische Gesellschaftsordnung, die durch Massenproduktion und Großbetriebe, Massenkonsum und soziale und ökonomische Stabilität, staatliche Wohlfahrtspolitik usw. charakterisiert wird; dieses System gerät in den 70er Jahren in eine Krise (Übergang zum "Postfordismus").

Internationalisierung der Produktion beginnt ca. Ende des 19. Jahrhunderts, zunächst ausgehend von UK, weniger aus USA. Gründe: a) unterschiedlicher Marktgrößen, b) Arbeitsteilung mit den Kolonien im britischen Weltreich..

Bis zum 2. Weltkrieg bestand eine klare Zentrum-Peripherie-Struktur mit den beiden globalen Polen Nordamerika und Europa und ihren nahezu globalen, teilw. überlappenden Einflusssphären. Direktinvestitionen der Kernmächte waren insbesondere (ca. zwei Drittel!) auf die Entwicklungsländer gerichtet.

Nach den weitreichenden Zerstörungen und dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft im Zweiten Weltkrieg Neuaufbau unter der Führung der USA, die allein aus dem Krieg gestärkt hervorgingen. Strukturelle Merkmale:

(1) West-Ost-Gegensatz:
sog. Kalter Krieg als Ideologie-, Wirtschafts- und Technologie-Krieg;

gesondertes Wirtschaftssystem des COMECON, geführt durch SU;

(2) Westliche Weltwirtschaft war geprägt durch sog. "System von Bretton Woods":

Konferenz in Bretton Woods (New Hampshire) 1944 mit dem Ziel einer stabilen weltwirtschaftlichen Ordnung unter der Führung der USA; Institutionen:

- Gründung des "International Monetary Fund" (IMF),

- Gründung der "International Bank for Reconstruction and Development", kurz: "World Bank"; Ziel: Regulierung der internationalen Finanzwirtschaft, und zwar durch die beiden genannten Währungsorganisationen und darüber hinaus durch feste Wechselkurse (z.B. 1 $ = 4,20 DM) mit dem Dollar als Welt-Leitwährung.

- GATT (1947 gegründet) = sog. zweiter Pfeiler des Bretton-Woods-Systems: Statt nationalem Protektionismus Gewährleistung des internationalen Freihandels. Dafür als Organisation 1947 gegründet: GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) mit dem Ziel, Zölle und sog. nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen (heute: WTO).

Durch IMF, WB und GATT entstand ein institutioneller Rahmen für stabile Weltwirtschaftsentwicklung nach 1945. Kritiker: De facto waren dies Instrumente zur Weltherrschaft der USA. Folge: Teilung der westlichen Welt in Zentrum und Peripherie, d.h. "Erste" und "Dritte" Welt.

5. Phase seit ca. 1973: die Triade

Heute: Situation ist viel komplizierter geworden:

- Das System des "Fordismus" ist in eine Krise geraten, ohne dass klar wäre, welches die charakteristischen Merkmale des "Postfordismus" wären.

- Die ehem. Zweite Welt hat sich weitgehend aufgelöst. Die sog. Reformländer der ehem. Zweiten Welt bilden zumindest vorläufig noch einen gesonderten Typ zwischen Zentrum und Peripherie. In der Interpretation von Wallerstein bilden sie eine neue Semiperipherie.

- Die traditionelle Rolle der USA wird durch EU und J ergänzt zur sog. Triade. Das heißt: Das bis in die frühe Nachkriegszeit bestehende bipolare Zentrum wird tripolar.

- Die sog. Dritte Welt entwickelt sich immer mehr auseinander. Von einer einheitlichen Kategorie der sog. Entwicklungsländer kann keine Rede mehr sein. Die sog. Dritte Welt spaltet sich in eine Ländergruppe der Peripherie und in eine Ländergruppe der Semiperipherie (dazu in späteren Kapiteln mehr).

Bewertung und Kritik des Ansatzes von Wallerstein:

Das Konzept ist eine Weiterentwicklung der Dependenztheorie (in Lateinamerika entwickelte, marxistisch beeinflusste Entwicklungstheorie, die besagt, dass sich die Entwicklungsländer in einer strukturellen Abhängigkeit von den Industrieländern befinden und deshalb nicht, wie die Modernisierungstheorie annimmt, durch gesellschaftliche Modernisierung und wirtschaftliches Wachstum das Entwicklungsniveau mit hohem Wohlstand der Industrieländer erreichen können). Wie die Dependenztheorie geht die Weltsystemtheorie von der Prämisse aus, dass Politik und Ökonomie untrennbar miteinander verwoben sind und das eine nicht ohne das andere verstanden und erklärt werden kann.

Neu sind zwei wesentliche Elemente: Erstens wird der alte Zentrum-Peripherie-Dualismus erweitert durch die Zwischenkategorie "Semiperipherie", und zweitens wird die Zuordnung der Länder dynamisiert: Im historischen Verlauf können Länder von einer Kategorie in eine andere wechseln (Beispiele für Aufstieg: Deutschland, Japan, Korea, Singapur; Beispiele für Abstieg: Portugal, Spanien). Damit wird das Theorem der "strukturellen Abhängigkeit" der Peripherie gelockert.

Kritik:

1) Die traditionellen einfachen Muster (Zentrum-Peripherie; Zentrum-Semiperipherie-Peripherie) reichen heute immer weniger aus, um die Struktur der Weltwirtschaft (genauer: die geopolitisch-geoökonomische Struktur) angemessen zu erklären.

2) Nach dem Ende des großen West-Ost-Konflikts spielen politische Ideologien und Machtfragen (insb. militärische Macht) keine große Rolle mehr; entscheidend werden nun ökonomische und technologische Potenz sowie neu: kulturelle Gegensätze und Gemeinsamkeiten. Diese werden bei Wallerstein vernachlässigt.
 
 
 
 

Versuche zur Darstellung der sich abzeichnenden neuen "Weltordnungen"

Welche Welt betrachten wir eigentlich in unserer Vorlesung?
 

Nicht nur Geographen produzieren solche "Weltbilder". Jeder von uns trägt irgendwelche Weltbilder mit sich herum, der eine differenziert, der andere rudimentär, der eine vielleicht eher als Mosaik von Naturlandschaften (wahrscheinlich ein Kollege der Physischen Geographie), der andere als ...?

Einige Beispiele:

Economist-Weltkarte vom 1.9.1990

Beschreibung (subsaharisches Afrika und Australien fehlen!)

Ergebnis: Regionalisierung der Welt nicht nach der Physis der Erdoberfläche, sondern nach ...? Amalgam aus Politik, Wirtschaft, Kultur; aus euro-amerikanischer Perspektive

Solch ein Weltbild ist eine "organisierte Wahrnehmung und kognitive Repräsentation der Erde hinsichtlich unterschiedlicher, spezifischer Aspekte". Sie sind nicht nur eine Spielerei von Geographen und hübsch anzusehen (wegen des Verfremdungseffekts im Vergleich zu unserem durch die geographische Sozialisation gewohnten "objektiven" Weltbild), sondern von beträchtlicher praktischer Relevanz in Politik, Wirtschaft und Kultur; denn

- sie haben eine Orientierungsfunktion (in einer zunehmend unübersichtlichen Welt),

- sie lenken Entscheidungen von Akteuren (meist unbewusst!),

- sie sind insofern selbst wichtige Medien der Weltpolitik und Weltwirtschaft.

Offizielle Sicht der UNO: Welt als Mosaik von z.Zt. ca. 192 souveränen Staaten.

Dass dieses Bild eine weitgehende Fiktion ist, weiß jeder.

Interessanter sind die Entwürfe von geopolitischen Weltkarten, die die tatsächlichen Machtverhältnisse und geostrategischen Bestrebungen der Großmächte zum Ausdruck bringen.

Saul Cohen 1982 (Politischer Geograph und Geopolitik-Berater der USA)

Große geostrategische Zonen, darin teilweise geopolitische Zonen. = Sicht aus der Perspektive der Weltmacht USA mit Bestreben, die SU und China in ihrem "eurasischen Kernland" einzudämmen!

= typisches Weltbild des sog. "kalten Krieges" der Nachkriegszeit mit der weltpolitischen Rivalität zwischen der sog. "freien Welt" und dem "Ostblock".

Brzezinski 1990 (ehem. Sicherheitsberater von Präsident Carter)

= sog. "trilaterales Weltbild": Russland wird nicht mehr als "Weltmacht" gesehen, nur noch die USA. Europa und Japan sind zwar wirtschaftliche, aber nicht politische Weltmächte. D.h. Überlagerung von zwei Strukturen:

  1. ökonomisch: Triade mit drei Hemisphären,
  2. politisch: Weltmacht USA mit globaler Einflußzone.
Weltbilder haben in der Regel eine massive ideologische Funktion. Vor allem in der Geopolitik bilden sie häufig mehr oder weniger unbewusste Denkschemata ab, die das politische Denken und Handeln massiv steuern und beeinflussen können.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Weltbildern kann aber auch eine aufklärerische, ideologiekritische Funktion haben.

Libération-Weltbild 1990

Dreistufige Struktur nach politischer und ökonomischer Macht im Weltsystem:

a) "Herrschende" mit den 3 "Zentren" Nordamerika, Europa, Japan/Südkorea

b) "Herrschend-Beherrschte" bzw. "Randlage" = Zwischenposition

c) "Beherrschte" = "Peripherie"

Dieses Weltbild ist in dieser oder ähnlicher Form insbesondere bei kritischen Wissenschaftlern und in Ländern der sog. Dritten Welt verbreitet. Es basiert auf zwei Denkschulen:

  1. sog. Dependenztheorie lateinamerikanischer Provenienz: Sog. "Unterentwicklung" ist nicht ein vorübergehender Zustand, der durch das Nacheifern der Vorbilder USA und Europa überwunden werden kann, sondern Ausruck einer strukturellen Abhängigkeit (Dependenz) politischer und insb. wirtschaftlicher Art. Annahme einer Bipolarität: Zentrum – Peripherie
  2. sog. Weltsystemtheorie nach I. Wallerstein (s.o.).
Weitere einflussreiche "Weltbilder"

Karte der Triade nach Kenichi Ohmae (1984/95)

Ohmae, Kenichi (1985): Macht der Triade. Die neue Form des weltweiten Wettbewerbs. Wiesbaden: Gabler 1985. 239 S. (Amerikan. Orig. 1984: 'Triad power').

Ohmae, Kenichi (1995): The end of the nation state. The rise of regional economies. New York: Free Press. 214 S. (Deutsch 1996).

Einflussreiche Analysen und Unternehmensstrategie-Empfehlungen eines ehem. japanischen McKinsey-Direktors. Repräsentiert das neue Weltbild der Business Community.

1) Produktionsverlagerung in die Billig-Lohn-Länder (insb. SE-Asiens) hält an, doch zugleich investieren japanische Unternehmer auch in Roboter im eigenen Land.

2) Früher lebten Großunternehmen von einem spezifischen technologischen Vorsprung; heute ist dies kaum noch möglich, so dass die TNCs heute in allen Teilen der Triade tendenziell gleich präsent sein müssen.

3) In den OECD-Ländern gleichen sich die Lebensbedingungen und Konsumstile insb. der jüngeren Generation immer mehr an ("Kalifornisierung") - "Sieht man daneben die Verständigungsschwierigkeiten mit der älteren Generation, so scheint die vertikale ‚Generationen-Lücke‘ sehr viel größer als die horizontale ‚internationale Lücke‘" (S. 9).

4) Zunehmender nationaler bzw. regionaler Protektionismus zwingt die Unternehmen, überall wie "einheimische Unternehmen präsent zu sein. Fazit: Ältere Strategien ("globales Unternehmen", UNO-Modell der 150 nationalen Märkte, "Wasserfall-Modell" der stufenweisen Expansion Heimatland-OECD-Welt) sind überholt; neue Formen des synchronen und weltweiten Wettbewerbs müssen die Ausgangspunkte für angemessene Unternehmensstrategien sein!

Die großen Unternehmen sollten versuchen, zu echten Triade-Unternehmen (Insider in allen drei Polen der Triade) zu werden. Dabei ist die Form des Konsortiums (=strategische Allianz) der effizienteste (statt Joint venture und Tochtergesellschaft). Echte Triade-Unternehmen sind in den drei Kerngebieten zu ungefähr gleichen Anteilen ihrer Wertschöpfung vertreten und darüber hinaus in der Entwicklungsrgion, die südlich des jeweiligen Hauptsitzes liegt. Dadurch ergibt sich prinzipiell ein vierpoliges Unternehmensgebilde. Dieses Muster unterscheidet sich grundsätzlich vom UN-Modell mit der Vorstellung von 150 gleichbedeutenden Märkten! Ein Triade-Unternehmen muss allen relevanten Märkten prinzipiell die gleiche Aufmerksamkeit zuwenden, unabhängig von der räumlichen und kulturellen Distanz. Ohmae bezeichnet dies als "Anchorage-Mentalität", weil von Anchorage aus in einer ungefähr gleichen Flugzeit von 7 Stunden New York, Tokio und Düsseldorf erreichbar sind.

Nationalstaaten waren früher entscheidende Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung, heute jedoch nicht mehr. Globalisierung durch die weltweite Mobilität der vier I: investment, industry, information technology, individual consumers. Entscheidende Faktoren der Weltwirtschaft sind die vier C: Capital, corporations, consumers, communication. Anstelle nationalstaatlicher Einheiten entstehen als neue Wachstumszentren sog. "region states", die teilweise grenzüberschreitende Regionen von 5-20 Mio Einwohner und meist um eine größere Metropole herumgruppiert sind und die untereinander stärker verbunden sind als mit dem Hinterland "ihres" Nationalstaates. Beispiele: Hongkong/Guangdong, Norditalien, Oberrheintal.

Karte nach Samuel P. Huntington (1993/96):

Huntington, S. P. (1993): The clash of civilisations? In: Foreign Affairs 73, 1993, S. 22-49.

Huntington, Samuel P. (1996): The clash of civilizations and the remaking of the world order. New York: Simon & Schuster. Dt. Übers.: Der Kampf der Kulturen. The clash of civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. München: Europaverl. 1996. 584 S.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und seiner klaren Strukturierung in West-Ost konkurrierten folgende Paradigmen (= Interpretationsschemata, die die Komplexität der Realität reduzieren und unser Wahrnehmen und Denken vorprägen) untereinander:
(1) "Eine Welt": Euphorie und Harmonie";
(2) "Zwei Welten: Wir und Die" mit ökonomischer und kultureller Zweiteilung der Welt;
(3) "184 Staaten, mehr oder weniger" = Mosaik von souveränen Nationalstaaten; (4) "Reines Chaos" mit drohendem Zusammenbruch staatlicher, wirtschaftlicher und kultureller Ordnungen. Über "Zivilisation" und "Kultur" im englischen und deutschen Sprachgebrauch. "Civilization" wird hier mit "Kultur" und "Civilizations" (als Gegenstand des Buches) mit "Kulturkreise" übersetzt. S. 54 "Ein Kulturkreis ist demnach die höchste kulturelle Gruppierung von Menschen und die allgemeinste Ebene kultureller Identität des Menschen unterhalb der Ebene, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Sie definiert sich sowohl durch gemeinsame objektive Elemente wie Sprache, Geschichte, Religion, Sitten, Institutionen als auch durch die subjektive Identifikation der Menschen mit ihr. Menschen besitzen mehrere Ebenen der Identität: Ein Einwohner Roms kann sich mit unterschiedlichem Nachdruck als Römer, Italiener, Katholik, Christ, Europäer, Westler definieren. Die Kultur, zu der er gehört, ist die allgemeinste Ebene der Identifikation, mit der er sich nachdrücklich identifiziert. Kulturkreise sind das umfassendste "Wir", in dem wir uns kulturell zu Hause fühlen, gegenüber allen anderen "Sie" da draußen. ... Kulturkreise haben keine klar umrissenen Grenzen, ihre Entstehung und ihr Ende stehen nicht präzise fest. Die Kulturen von Völkern wirken aufeinander ein und überlagern sich." Die "großen zeitgenössischen Kulturkreise" sind: 1. der sinische (besser zutreffend als "konfuzianisch", wie noch 1993 genannt);

2. der japanische (um 1.-4. Jh. Aus der chinesischen Kultur entstanden; identisch mit dem Staat Japan);

3. der hinduistische (seit dem 2. Jahrtausend v. Chr.; heute eher hinduistisch statt indisch);
4. der islamische (ab 7./8. Jh. mit der Islamisierung);
5. der westliche (entstanden um 700/800, Europa, Nordamerika, Australien);
6. Lateinamerika (evtl. auch dem westlichen Kulturkreis zuzuordnen);
7. die afrikanische ("vielleicht", im subsaharischen Afrika).

Auf der Übersichtskarte (S. 30f.) wird ferner ein russisch-orthodoxer Kulturkreis dargestellt.

Kap. 3 "Eine universale Kultur?" zur Frage einer "Verwestlichung" der globalen Zivilisation.

Kap. 4 "Das Verblassen des Westens: Macht, Kultur, Indigenisierung". Zwischen den Regionen dieser Zivilisationen: kulturelle Bruchlinien mit hohem Konfliktpotential (z.B. Sarajevo, Kosovo).

Huntington 1996, S. 121f. Tabelle mit Fläche und Bevölkerung:
 
Flächenanteil in %:
1900
1920
1971
1993
Bevölkerung1993 in Mio.
sinisch 
8,2
7,5
7,5
7,5
1341
islamisch
6,8
3,5
17,5
21,1
928
hinduistisch
0,1
0,1
2,5
2,4
916
westlich
38,7
48,5
24,4
24,2
805
lateinamerikanisch
14,7
15,4
14,9
14,9
508
afrikanisch
0,3
0,8
8,8
10,8
392
(russisch-)orthodox
16,6
19,5
19,7
13,7
261
japanisch
0,3
0,5
0,3
0,3
125
andere 
16,6
4,3
4,4
5,2
...

Schlusskapitel mit ambivalenten normativen Aussagen: einerseits Warnung vor ethnischen Konflikten und Aufruf, um das Gemeinsame der Kulturen zu suchen und auszubauen; andererseits Warnung vor Multikulturalismus und weiterer Schwächung des westlichen Kulturkreises in der globalen Auseinandersetzung.

Kritik:

1) In der Argumentation spiegelt sich nicht nur die geopolitische Denktradition, sondern auch die Phobie der politischen Klasse der USA vor nichtwestlichen Wertesystemen, insbesonders vor dem Islam (Feindbilder Libyen, Iran, Irak).

2) Die Grenze zwischen Untersuchungsobjekt (Ethnisierungsdiskurse) und Analyse droht zu verschwimmen. H. trägt mit seinen Thesen selbst zum Ethnisierungsdiskurs bei, gleichsam im Sinne einer selffulfilling prophecy.

Karte nach J.-C. Rufin 1991/1993

Rufin, J.-C.: Das Reich und die neuen Barbaren. Berlin 1993. (Franz. Orig. 1991).

Betont die Rolle des "neuen Limes" zwischen dem Norden und dem Süden. = "eine Art weltweiter Apartheid", um die Zivilisation des Nordens zu definieren und zu schützen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus braucht der Westen ein neues Feindbild, das neue Gemeinsamkeiten der Gefahrenabwehr bietet. Das Bild jenseits des neuen Limes setzt sich zusammen aus terrae incognitae (in Medien nicht präsent!), gewalttätigen Unruhen und chaotischen Mega-Städten. Kleine Enklaven des Nordens im Süden: touristische Inseln, weltwirtschaftliche Knoten wie Banken- und Luxusviertel sowie freie Produktionszonen. Die "neuen Barbaren" des Südens werden vom Norden im Stich gelassen:

- Demographische Perspektive? Pessimismus: Problem des Bevölkerungswachstums nur durch Malthussche Katastrophen lösbar.

- Ökonomische Perspektive? Abkehr vom universellen Ziel der weltweit gerechten Entwicklung; "Entwicklungshilfe ist ein Fass ohne Boden"; statt dessen Bevorzugung von Pufferstaaten am Rand des Limes.

- Politische Perspektive? Statt universeller Stützung der Demokratie: Entgegenkommen gegenüber totalitären Staaten der Dritten Welt wie Iran und VR China, wenn sie für Stabilität sorgen und Migrationen verhindern.

- Militärische Perspektive? Selektive Reaktion: Konflikte am Limes führen zur direkten Intervention (Cuba, Grenada, Nicaragua, Jugoslawien); ferne Konflikte sind gleichgültig (Kambodscha, Angola, Ruanda, Timor).

Karte nach Galtung (1993/94) Galtung, Johan (1995): Die Rolle der Tiefenkulturen zwischen Konflikt und Frieden. Von der Veränderbarkeit des kollektiven Unterbewußtseins. In: Jörg Calliess (Hg.): Der Konflikt der Kulturen und der Friede in der Welt, oder: Wie können wir in einer pluralistischen Welt zusammenleben? Rehburg-Loccum: Ev. Akad. Loccum. S. 163-178. = Loccumer Protokolle 65/94. Entwurf einer multipolaren Welt mit Schwerpunkträumen auf historisch-geopolitisch-kultureller Grundlage. In jeder dieser Kulturregionen sind traumatische historische Erfahrungen und verbindende Mythen, aber auch Sendungsbewusstsein gegenwärtig. Über diese Kulturregionen legt sich die ökonomische Dimension mit den drei Polen der Triade. Verbindungen zwischen den beiden Mustern ergeben sich ökonomisch relevante kulturelle Prägung: Arbeitsethos und Rücksichtslosigkeit, kommerzielle Grundhaltung, technologische Fortschrittsorientierung usw.
 

Kapitel 04 Die geoökonomische Weltkarte: Räumliche Muster in
Produktion, Handel und Investitionen
 
 

In diesem Kapitel wird ein beschreibender Überblick über die Entwicklung und räumliche Verteilung der Weltwirtschaft gegeben. Damit sollen zunächst die wesentlichen Fakten als Grundlage der folgenden, stärker analytischen Kapitel dargestellt werden. Nacheinander behandelt werden: 1) Produktion, insb. Industrieproduktion; 2) Handel, 3) Ausländische Direktinvestitionen.

Entwicklungstrends der Weltwirtschaft in global aggregierter Betrachtung: Wachstumsraten von Produktion und Handel zeigen einen Verlauf wie eine "Achterbahn":

- Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Wachstumsrate der Weltindustrieproduktion von zunächst 6-7% in den 60er Jahren auf 8-9%; seitdem ist sie zurückgegangen, nämlich in den 70er Jahren auf ca. 4% und in den 90er Jahren auf ca. 2%.

- Der mittelfristige Trend überdeckt Konjunkturzyklen; die wichtigsten Rezessionen: 1973/74, 1983, 1991/92.

- Während des gesamten Betrachtungszeitraums lagen die Wachstumsraten des Welthandels deutlich über denen der Produktion. Diese Differenz betrug von den 60er bis zu den 80er Jahren ca. 2%; seit dem Ende der 80er Jahre stieg die Differenz auf 4-5% an; = Indikator für rasch zunehmende weltwirtschaftliche Verflechtung.

- Noch dynamischer als der Welthandel entwickelten sich die Ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investments; im Folgenden stets FDI abgekürzt). Diese Tendenz zeigt, dass die transnationalen Kapitalverflechtungen immer stärker zum Motor der weltwirtschaftlichen Verflechtungen werden.

Räumliche Verteilung der Industrieproduktion

Die Weltkarte zeigt eine krasse Ungleichverteilung. Drei Schwerpunkte der Industrieproduktion: USA, EU und Japan. Die drei größten Industrieproduzenten vereinigen allein knapp 60% der Weltproduktion auf sich (USA 26,9%, Japan 21,0 %, Deutschland 11,6%); auf die 15 größten Länder entfallen 85,8%!

Im Entwicklungsverlauf der letzten Jahrzehnte gab es allerdings gravierende Verschiebungen: In den 50er Jahren entfiel noch fast die Hälfte der Weltindustrieproduktion auf die USA; auch die "alten" Industrieländer wie vor allem UK verloren Anteile; Deutschland war nach dem Wiederaufbau bereits um 1960 der zweitgrößte Industrieproduzent und konnte den Anteil von 10-11% leicht ausbauen, nach der deutschen Einigung allerdings negative Raten; Deutschland wurde allerdings überholt von Japan, das von den 60er bis zu den 80er Jahren ein beispielloses Wachstum seiner Industrie, in den 90er Jahren allerdings ebenfalls eine Stagnation erlebte.

Nicht in Tab. 2.2 enthalten: Entwicklung der sog. Transformationsländer, die ab 1990 einen mehr oder weniger ausgeprägten Kollaps ihrer Industrieökonomie erfuhren.

Stellung der Schwellenländer ("Newly industrializing economies" = NIEs, oder "newly industrializing countries" = NICs): nach Weltregionen sehr unterschiedlich! In den meisten NICs Ost- und Südostasiens hohe Wachstumsraten bis zur Asienkrise 1997, so dass der Anteil dieser Ländergruppe an der Weltindustrieproduktion bis heute auf ca. 9-10% stieg. In anderen Weltregionen teilw. Stagnation und Beschäftigungsrückgang.

Räumliches Muster des Welthandels

Traditionelles Muster des Welthandels: Industrieländer (IL) produzieren und exportieren vor allem Industriegüter; Entwicklungsländer (EL) exportieren Rohstoffe und Nahrungsmittel. Diese Form der Arbeitsteilung änderte sich in der Nachkriegszeit: Noch 1960 bestanden die Exporte der EL nur zu 20% aus Industriegütern, 1988 waren es bereits 47%; besonders stark war der Anstieg des Industriegüteranteils in den ostasiatischen NICs, dort stieg der Anteil auf 78% (1994).

Einige Beobachtung anhand der graphischen Darstellungen der Welthandelsverflechtungen (des Warenhandels):

- Verflechtungen zeigen die zunehmende Integration der Weltwirtschaft.

- Daten werden üblicherweise auf Staaten (Nationalökonomien) bezogen ("Außenhandel"); dadurch entstehen Interpretationsprobleme: eine räumlich kleine Ökonomie wie Hongkong und Singapur hat naturgemäß relativ intensive Außenverflechtungen im Vergleich zu großen Ländern wie USA; in der EU entfällt ein großer Teil des Außenhandels auf Intra-EU-Handel.

- Vergleich mit der Weltproduktion zeigt: Auch im Handel gibt es zwar starke Ungleichverteilungen, aber nicht so extrem wie bei der Produktion. Relativ intensivere Außenhandelsverflechtungen: ostasiatische NICs.

- Nationale Handelsbilanzen sehr unterschiedlich: große Überschüsse bei Japan und D, große Defizite insb. USA. Die extrem unausgeglichene Außenhandelsbilanz USA-Japan ist eine ständige Quelle handelspolitischer Auseinandersetzungen.

- An ungefähr drei Vierteln des Welthandels sind die Industrieländer beteiligt; sie wikkeln allein ca. 50% des Welthandels untereinander ab! Hauptexporteure: 1) USA, 2) Deutschland, 3) Japan. Während die Anteile der USA und von UK dramatisch sanken, stieg der Anteil Japans rasch an. Bei den Hauptimporteuren beobachten wir eine ganz andere Rangfolge: 1) USA, 2) Deutschland, 3) UK, 4) Frankreich.

- Regionale Unterschiede der Verflechtungen: Besonders intensive intraregionale Verflechtungen in Westeuropa (68% des EU-Handels ist Intra-EU-Handel) und sekundär auch in Nordamerika (90% der Exporte Kanadas gehen in die USA). Demgegenüber sind die Handelsverflechtungen der ostasiatischen NICs stärker weltmarktorientiert.

Weltwirtschaftliche Verflechtungen durch ausländische Direktinvestitionen (FDI)

Begriff: "Ausländische Direktinvestitionen" (foreign direct investments, abgekürzt FDI): Investitionen von Unternehmen im Ausland durch Kauf oder Gründung eines Betriebs mit dem Ziel der Kontrolle oder Beherrschung dieses Betriebs (Gegensatz: "Portfolio-Investition" mit lediglich Kapitalrendite-Interessen).

Wichtigster Akteur: "Transnationale Unternehmen" (transnational corporation, TNC) mit drei wesentlichen Eigenschaften:

- Kontrolle über wirtschaftliche Aktivitäten in mehr als einem Land (allgemeines Definitionskriterium eines TNC);

- Fähigkeit zur Ausnutzung von Vorteilen der unterschiedlichen Faktorausstattungen in den Ländern und Regionen (d.h. natürliche Ressourcen, Qualifikation und Lohnniveau der Arbeitskräfte, unterschiedliche Politik und Rechtsnormen usw.);

- Räumliche Flexibilität, d.h. Fähigkeit zur Verlagerung von Aktivitäten von einem Land zum anderen, wenn sich die Standortbedingungen verändern.

Ein "TNC" ist in wenigstens zwei Ländern durch Betriebe aktiv, inkl. Mutterunternehmen; Multinationale Unternehmen sind in vielen Ländern tätig (sie sind insofern eine Teilmenge der TNCs).

Als operationelles Definitionskriterium (im Unterschied zu dem o.g. allgemeinen Kriterium) der TNCs üblich: Eigentumsverflechtung (Kapitalverflechtung) zwischen Mutter und Tochter bzw. Töchtern. Allerdings ist die Erfassung und auch der Schwellenwert der Kapitalbeteiligung in den internationalen Statistiken uneinheitlich. Dies ist die engere TNC-Definition.

Problem: Kapitalbeteiligung ist nur ein Spezialfall der internationalen Kontrolle. Weitere Definition (z.B. nach Cowling und Sugden 1987): Strategische Koordination der Unternehmensentscheidungen durch ein Zentrum (Muttergesellschaft, Holding) über Staatsgrenzen hinweg. Damit können auch andere Formen der transnationalen Kontrolle, die nicht eine Eigentumsverflechtung von z.B. über 50% voraussetzen, einbezogen werden. Hierfür gibt es jedoch keine Statistiken, sondern allenfalls Fallstudien. Dies ist die weitere TNC-Definition.

Von TNCs zu unterscheiden: sog. "strategische Allianzen" zwischen prinzipiell autonom bleibenden Partnern, d.h. freiwillige Kooperation, um Unternehmensstrategien aufeinander abzustimmen und Synergieeffekte zu nutzen, insb. bei sehr hohen Aufwendungen für F&E bei der Entwicklung neuer Produkte. Dabei teilw. fließende Übergänge zwischen solchen Verbünden und TNCs.

Statistische Probleme:

- Erfassung in nationalen Statistiken ungleichmäßig, unvollständig und zeitlich rückständig (ca. 6 Jahre time lag);

- Die meisten Statistiken basieren auf Eigentumsverflechtungen und unterschätzen damit den Umfang der tatsächlichen Verflechtungen.

Entwicklung der TNCs

Erste Welle ca. 1900-1914;

zweite Welle ca. 1920-30, dann Weltwirtschaftskrise und Krieg;

dritte Welle ca. ab späte 50er Jahre und 60er Jahre mit starker Beschleunigung.

Zahl der Zweigbetriebsgründungen lag um 1965/67 ca. 10x so hoch wie in 1920ern und ca. 2 x so hoch wie um 1950.

Welche Länder? Nach 1945 zunächst USA dominierend (ging gestärkt aus dem Weltkrieg hervor). In 60er Jahren holte Europa auf. Japan und D sind "Spätkommer".

Entwicklung seit den 60er Jahren:

- Führende Position der USA bleibt, aber Anteil sinkt drastisch!

- Auch der Anteil von UK (seit imperialist. Commonwealth-Zeiten traditionell internationalisierte Ökonomie; auch wg. Sprache) sinkt drastisch.

- Starkes Wachstum: D und insbes. Japan seit den 70er Jahren.

- Kleine Länder NL, CH und Schweden sind relative int. Investitions-"Riesen"!

- Anteil von "Entwicklungsländern", d.h. NICs, ist noch sehr gering, aber er steigt signifikant.

Dies war eine Betrachtung der Herkunft der FDI; welches waren die Ziele?

- Anteil der EL sank! 1938 noch 66%, 1985 nur noch 25%!

- Ziele heute: USA und Europa, d.h. Querbeziehungen zwischen den Industrieländern dominieren immer stärker.

- USA: Bis 80er Jahre Kapitalexporteur, d.h. US-Firmen investieren in anderen Ländern mehr als ausländische TNCs in USA; dieses ändert sich jedoch in 80er und 90er Jahren zu einer ungefähr ausgeglichenen Bilanz.

- Europa: Bis 70er Jahre dominantes Ziel von (US-)TNCs, seitdem tendenziell ausgeglichen; in jüngster Zeit eher wieder steigend.

FDI-Bilanzen:

- D: starke Zunahme der FDIs 1997-99; stets negative Bilanz, starke Zunahme der innereuropäischen Verflechtungen.

- Japan: extremes Ungleichgewicht, ca. 10-15faches Übergewicht der abfließenden FDIs. Die Bedeutung Japans als FDI-Ziel ist zwar gestiegen (1980: 21. Welt-Rangplatz, 1990: 14. Welt-Rangplatz), aber immer noch relativ niedrig. Ursachen:

Relative Bedeutung der FDIs in der einzelnen Ländern ist sehr unterschiedlich! Besonders hoch ist die Marktdurchdringung (market penetration) in Kanada, dort entfallen 40% der Beschäftigten und über 50% der Industrieproduktion auf ausländische Unternehmen. Kanada ist die größte "Branch plant economy" der Welt! Anderes Extrem: Japan, dort nur 0,5 bis 1%! Aber auch in den USA entfallen nur 4% der Beschäftigten auf ausländische TNCs!

Auch in den Entwicklungsländern gravierende Unterschiede: hohe Anteile ausländischer TNCs z.B. in Singapur und Malaysia, sehr geringe jedoch in Indien und Südkorea (nur ca. 10%!). Der Löwenanteil der FDIs, die in die EL gehen, entfällt auf (1) Ost- und Südost-Asien sowie (2) Lateinamerika; hingegen ist Afrika ganz unbedeutend.

Jüngere Entwicklung in Ostasien: die 4 kleinen Tiger waren in den 80er Jahren das Hauptzielgebiet von FDIs; seit 1989 kommen die emerging NICs hinzu (Malaysia, Thailand, Indonesien), ferner auch die VR China! Seit Mitte der 90er Jahre ist die VR China das bedeutendste FDI-Zielland aller Entwicklungsländer. Hingegen ist die FDI-Bilanz der "alten Tiger" wie Südkorea und Taiwan inzwischen negativ!

Sektorale Verteilung der TNC-Aktivitäten

Historisch: TNCs waren schwerpunktmäßig tätig im primären Sektor, speziell bei Rohstoffen und Nahrungs- und Genussmitteln ("Kolonialwaren"). Dies entsprach der kolonialzeitlichen weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung.

Auch heute noch liegt der Welthandel in diesen Gütermärkten weitgehend in den Händen der TNCs (Fig. 3.4).

Jüngere Trends:

In 60er und 70er Jahren kam die Industrie hinzu.
Table 3.6: 1975 entfiel fast die Hälfte aller FDIs auf die Industrie. Innerhalb der Industrie aber nicht gleichmäßig verteilt auf alle Branchen, sondern 3 Schwerpunkte:

1. Hochtechnologiegüter, wie Pharmazeutika, Computer, wiss.Geräte;

2. Industriegüter mit mittlerem Technologiegehalt und hohen Stückzahlen, z.B. Autos, Fernseher, Kühlschränke;

3. Konsumgüter mit geringem Technologiegehalt in Massenproduktion, jedoch mit starker Markenbindung, z.B. Zigaretten, Softdrinks, Toilettenartikel.

Seit 80er Jahren wächst die Bedeutung des tertiären Sektors, insb. des Finanzsektors, der sich zunehmend vom Warenhandel abkoppelt ("virtuelle Ökonomie").
Table 3.6: Dienstleistungshandel ist heute bereits wichtiger als Industrie!
Table 3.7: wichtigste Zweige: 1. Finanzwesen (Banken, Versicherungen, Börsen), 2. Handel, d.h. Großhandel, 3. andere Dienstleistungen wie Werbung, Wirtschaftsprüfung, Rechtsberatung, Immobilien, technische Beratung).

Beispiel Lufthansa

Ähnlich wie alle Airlines war die Lufthansa ein nationales Unternehmen; andere Linien sind häufig noch im Staatseigentum oder werden als nationale Symbole nur mit erheblichen Subventionen am Leben erhalten (Air France, Alitalia, Iberia, Olympic Airways).

Lufthansa hat zwar immer noch einen nationalen Charakter, aber:
- 52% der Fluggäste sind Nichtdeutsche,
- 50% der Einnahmen erfolgen international, d.h. meist in US $,
- 85% der Flüge sind Auslandsflüge.

Andererseits entstehen 80% der Kosten in DM, d.h. im Inland; dadurch 2 Probleme für Ertrag und internationale Wettbewerbsfähigkeit: a) hohe Arbeitskosten, b) Risiko der Währungsschwankungen.

Strategien:

1) Kostenmanagement, insb. Tarifvertrag mit Belegschaft mit Einfrieren der Gehälter und längerer Arbeitszeit (früher geschützter nationaler Markt, heute scharfe intern. Konkurrenz);

2) strategische Allianzen mit 20 anderen Airlines weltweit, d.h. ohne Kapitalbeteiligungen; Hauptziele: a) Code-Sharing, d.h. gemeinsamer Vertrieb, b) technische Kooperation bei Wartung etc.

3) Outsourcing: Möglichkeiten begrenzt, aber bisher:

a) Verlagerung der Ticketabrechnungen nach Indien; dort beträgt das Lohnniveau der genauso qualifizierten Programmierer und Informatiker ca. 10% des deutschen Lohnniveaus leistungsfähige Datenübertragung über Satellit möglich.

b) Einstellung von ausländischem Begleitpersonal zu Heimatlöhnen, bei internationalen Flügen bisher bis zu 10%.

c) Gründung von joint ventures: 'Cargo India' (40% LH) für indischen Luftfrachtverkehr; 'Ameco' China Air/LH für Wartung u.a. andere Flugtechnik.

Perspektive: LH wird sich weiter internationalisieren; Liberalisierung und Konkurrenz führen zur Marktbereinigung; Airlines verschwinden oder schließen sich zu Gruppen zusammen; in Europa werden vermutlich nur 3 Gruppen überleben: LH, BA und KLM gemeinsam mit anderen, insb. amerikanischen Partnern.

Z.Zt. zeichnen sich folgende Gruppen ab:

1) British Airways und American Airlines mit dominanter Marktposition auf dem UK-USA-Markt;

2) Lufthansa, United Airlines und SAS;

3) Delta Airlines/Swissair/Sabena/ Austrian Airlines;

4) KLM und Northwest Airlines.

Räumliche Perspektive: TNC-Aktivitäten ausgewählter Länder

(1) USA

US-TNCs sind weltweit dominierend; allerdings ist ihr relativer Stellenwert in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen.

Fig. 3.5: Maximum der Zweigbetriebsgründungen in 60er Jahren, dann deutliche Abflachung. Gleichzeitig stieg die Zahl der Schließungen.

Allerdings besagt die absolute Zahl noch wenig über die Höhe der Investitionen: Fig. 3.6: FDIs von US-TNCs in der Industrie. Deutlich: starke Internationalisierung der Produktion! Die absolute Position der US-TNCs ist stark wie nie zuvor. Dies wird in der Öffentlichkeit häufig im Unterschied zu Japan übersehen.

Räumliche Verteilung (Fig. 3.7 mit Stand 1988 und Fig. 3.8 sowie Fig. 3.9 mit Beschäftigung):

- globale Verteilung über die gesamte Erde;

- traditioneller Schwerpunkt: Amerika, d.h. Canada und Lateinamerika; deren Bedeutung ging jedoch relativ zurück! evtl. durch Freihandelszone NAFTA wieder stärker?

- Europa: ca. 50% ungefähr konstant. Dabei jedoch innerhalb Europas starke Verlagerungen zu Lasten von UK und zugunsten D, I, NL, IR und SP; Gründe: EG-Gründung ohne UK, niedrigere Produktivität und höhere Stückkosten in UK.

- Starkes Wachstum in Ostasien: Japan, Tigerländer, auch Malaysia, Thailand. Entstehung eines pazifischen Wirtschaftsraums!

- Rückläufige Anteile: Australien, Südafrika, Naher Osten, Indien.

Vergleich mit globaler Verteilung der Beschäftigung:

- auf den ersten Blick ähnliches Muster, jedoch:

- stärkere Steigerung der Beschäftigung in europ. Peripherieländern wie P, SP und IR sowie vor allem in EL.

- Von 1966 bis 1987 stieg der Anteil der EL an allen US-TNC-Beschäftigten von 20 auf 34%, z.B. in Brasilien von 115.000 auf 379.000! Malaysia: von 2.000 auf 54.000; Singapur: von 1.000 auf 38.000; Taiwan von 5.000 auf 49.000!

= Trend der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zur Lokalisation arbeitsintensiver Produktionen in den NICs.

(2) Großbritannien

Traditionell starke Stellung von UK ging stark zurück; dies bedeutete jedoch nicht einen absoluten Rückgang!

Sektorale Schwerpunkte: Rohstoffe und Nahrungsmittel, weniger hochtechnologische Industrie als USA, ferner Dienstleistungen.

Räumliche Verteilung:

- dominant: USA; deren Stellung ist ständig weiter gestiegen;

- heute an zweiter Position: Kontinentaleuropa, ebenfalls gestiegen, speziell in 60er Jahren;

- ferner Reste des Commonwealth (Kanada, Australien) mit starkem Rückgang!;

- andere Länder, z.B. der Dritten Welt: Rückgang.

(3) Deutschland

FDIs der deutschen TNCs ist insbesondere in 60er und später rapide gewachsen, allerdings von einer sehr niedrigen Ausgangsbasis aus.

Sektorale Struktur: klare Dominanz der Industrie (kaum Rohstoffe, unterdurchschnittlich bei Dienstleistungen!). Bei der Industrie klare Schwerpunkte bei mittel- bis hochtechnologischen Gütern: speziell Chemie/Pharma (Bayer, Höchst, BASF), Automobilindustrie (VW, Daimler-Benz und BMW) sowie Elektroindustrie (Siemens).

Räumliche Muster:

- Löwenanteil entfällt auf USA (ca. 32%);

- Westeuropa umfasst ca. 40-50%, dabei Anteil in Spanien sehr bedeutsam, dagegen in UK gering! Seit Anfang der 90er Jahre zunehmende Bedeutung der ostmitteleuropäischen Transformationsländer (insb. Polen, Tschechien, Ungarn).

- EL: insgesamt nur ca. 20%, d.h. weniger als von US und UK-TNCs! Innerhalb dieser Gruppe insb. Brasilien, Argentinien und Mexiko.

- In Ost- und Südost-Asien bemerkenswert geringe Präsenz! jedenfalls im Vergleich mit US und UK.

(4) Japan

Dicken: "A world apart?"- Eine eigene Welt? Tatsächlich unterscheidet sich das FDI-Verhalten japanischer TNCs deutlich von dem der USA und Europas. Aspekte:

1. sehr junge Entwicklung (Fig. 3.16): Bis Ende der 60er Jahre keine nennenswerten FDIs, allenfalls im Bergbau. Japanische Strategie: Aufbau einer Industrie mit Export, aber ohne FDIs. Von 1970 bis 1985 allmähliche Steigerung; dann explosive Steigerung!

2. Ursachen: begrenzte Größe des japanischen Binnenmarkts, Reaktion auf Währungskursschwankungen (Yen-Aufwertung!) und auf Handelshemmnisse in anderen Ländern, desh. zunehmende Kapitalexporte.

3. Unterschiede zu USA und EU: enge Koalition zwischen der japanischen Regierung und der Wirtschaft; starke Stellung der großen Handelshäuser, den sog. "sogo shosha".

Sektorale Struktur: starker Rückgang der Rohstoffwirtschaft; mittlere Zunahme der Industrie und besonders starke Zunahme der Dienstleistungen, die weitaus dominieren. Dies reflektiert die traditionell starke Position des Handels. Aber nach 1985 auch starke Zunahme der Industrie!

Räumlich-sektorale Betrachtung (Fig. 3.17):

- krasse räumlich-sektorale Unterschiede;

- Europa: Dominanz der Dienstleistungen, spez. Banken;

- Nordamerika: Dienstleistungen (Immobilien, Banken, Versicherungen, Handel) und Industrie (höherwertige, technologiehaltige Güter);

- Asien: wichtigster Zweig: Bergbau, daneben auch Industrie mit geringwertigen Produkten.

- Afrika und Vorderer Orient sind fast bedeutungslos! Japanische Unternehmen reagieren sehr sensibel auf mangelnde politische und soziale Stabilität.

Geographische Verteilung (Fig. 3.18)

- Räumliches Muster unterscheidet sich deutlich von dem der USA und EU.

- Besonders wichtig: hoher Anteil der ost- und südostasiat. NICs und EL wie Indonesien, Hongkong und Singapur. hier insb. arbeitsintensive Fertigungen. Diese sind inzwischen wichtiger als Lateinamerika, die in den 50er und 60er Jahren zunächst favorisiert wurden.

- Zunehmende Bedeutung aber auch Nordamerika und Europa (UK!). hier insb. höherwertige Güter als Reflex auf Importbarrieren.

Gründe für rapide steigendes Engagement in EU: hoher Yen-Kurs als push-Faktor, EU-Protektionspolitik und Furcht vor nichttarifären Handelshemmnissen, Markterschließung, Marktnähe (rasche Reaktionsmöglichkeiten auf Markttrends).

Warum UK? FDI-freundliche Politik, relativ niedrige Arbeitskosten, Sprache, geringer Gewerkschaftseinfluss bei Einzelbetrieben, keine Politik der nationalen Bevorzugung ('national-champion-policy') wie in Frankreich. Standortwahlen: 100% auf der grünen Wiese; Verfügbarkeit junger, gut ausgebildeter Arbeitskräfte; Standorte häufig in altindustriellen Regionen (aber nicht auf Industriebrachen!).

(5) Tigerländer

Zunehmende Direktinvestitionsverflechtungen zwischen EU und den Tigerländern, dabei insbesondere Südkorea als größter Direktinvestor, auch in D!

Bsp.: Sanyo exportiert bisher 250.000 Fernsehgeräte aus seinem Werk in Singapur nach EU; Plan: Produktionsverlagerung nach EU. Ähnlich Südkorea: nach Antidumping-Abgaben auf CD-Spieler wurde Produktionsverlagerung vorgenommen; auch in Thailand Überlegung zur Verlagerung von Textil- u. Bekleidungsproduktion nach EU.

Weiteres Motiv der zunehmenden Direktinvestitionen der NICs in EU: Markterschließung, Nähe zu Abnehmern, um auf Kundenwünsche und Markttrends schneller reagieren zu können. Dabei dominierend: Elektro- und Elektronikindustrie. 1993 wurden 163 Investitionsfälle der 4 Tigerländer in der EU bekannt, davon 58 in UK, 51 in D, 22 in F und 12 in NL.

Südkorea investierte in D bis Ende 1991: 531 Mio DM gegenüber 445 Mio DM von D in Südkorea. Beispiele: Hyundai kaufte Halbleiterunternehmen in Ostdeutschland, Korean Data Systems fertigt seit Ende 1993 zusammen mit dem deutsch-taiwanesischen Unternehmen "Aquarius Robotron Systems" in Thüringen Monitore für PCs. Beispielsweise wurden noch 1988 rund 80% aller PC-Bildschirme in D importiert, bis 1993 war dieser Anteil auf ca. 30% gesunken!

Insg. existieren derzeit in EU 20 koreanische Poduktionsstätten, davon 7 in UK. Sektorale Schwerpunkte: Haushalts- und Unterhaltungselektronik. Führend sind die großen koreanischen Konzerne Samsung, Lucky Goldstar und Daewoo. Zunehmend drängen auch die koreanischen Automobilunternehmen auf den deutschen Markt: zunächst Hyundai, inzwischen auch Kia (zusammen mit Lada) sowie Daewoo.
 

Kapitel 05 Traditionelle Theorieansätze zur Erklärung der räumlichen Struktur und Dynamik der Weltwirtschaft und die Rolle der Politik

Bisher hauptsächlich behandelt: "Muster der Weltwirtschaft", d.h. im wesentlichen Beschreibung der räumlichen Muster. Nächste Kapitel: "Prozesse" der aktuellen weltwirtschaftlichen Entwicklung, d.h. Analyse und Erklärung der Trends. Dazu benötigen wir theoretische Konzepte, in "deren Licht" wir die empirischen Befunde betrachten und damit verständlich machen können. Genauer betrachtet werden in den folgenden Kapiteln die Faktoren 1) Politik (Kap. 5), 2) technologischer Wandel (Kap. 6) und 3) Transnationale Unternehmen (Kap. 7).

Um diese Faktoren jedoch richtig bewerten und einordnen zu können, benötigen wir theoretische Konzepte. Vorweg ein Rückblick auf einige ältere Erklärungsansätze.

Klassische Theorieansätze der Ökonomie

Berühmtes Beispiel von Ricardo über den Handelsvertrag Englands mit Portugal über Handelsaustausch englischen Tuchs gegen portugiesischen Wein (Vertrag von 1703, bestätigt 1810): Bei der Annahme, dass in England eine Einheit Tuch für 100, eine Einheit Wein für 120 Arbeitsstunden erzeugt werden kann, in Portugal dagegen Wein für 80 und Tuch für 90 Stunden, könnte man meinen, dass beide Güter von Portugal nach England exportiert werden müßten (z.B. durch Verlagerung der englischen Produktion nach Portugal). Dies würde jedoch in Portugal zu Inflation und höheren Löhnen, in England aber zu Deflation und Lohnsenkungen führen. Wenn aber die Preise für beide Güter bei einem Äquivalent von 100 Arbeitsstunden eingependelt sind, lohnt ein Handelsaustausch: England könnte Tuch nach Portugal exportieren und auf eine eigene Weinproduktion verzichten, weil mit der ursprünglich für die Weinproduktion benötigten Arbeitsleistung nun 1,2 Einheiten Tuch produziert werden können. Umgekehrt kann Portugal Wein exportieren und auch die Tuchproduktion verzichten, weil mit der ursprünglich für die Tuchproduktion eingesetzten Arbeitsleistung nun 1,125 Einheiten Wein erzeugt werden können.

Fazit: Es kommt nicht auf die absoluten, sondern auf die relativen (komparativen) Kostenunterschiede an. Im Falle des Freihandels profitieren beide Länder von der arbeitsteiligen Produktion und dem Güteraustausch. Gegenüber einer merkantilistischen Autarkiepolitik entsteht zusätzlicher Wohlstand. (Allerdings: Ricardo-Modell setzt einige radikal vereinfachende Prämissen: keine Transportkosten, keine Mobilität der Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital, kein technischer Fortschritt usw.).

Thünen fokussiert seine Betrachtung im Unterschied zu Ricardo auf die Transportkosten. Zwar hat er sein Modell auf landwirtschaftliche Regionen um einen städtischen Absatzmarkt bezogen, doch kann man es gedanklich auf die Weltwirtschaft ausweiten: Die entlegenen Wirtschaftsregionen hätten demnach nur bei wenigen Viehwirtschaftsprodukten wie Wolle und Fleischextrakt noch genügende komparative Vorteile, um die Barriere der Transportkosten zu überwinden. Hinweis auf die Agrarexportökonomien von Argentinien, Australien und Neuseeland, die sich in dieser Perspektive als äußere weltwirtschaftliche Thünen-Zonen interpretieren lassen. Die Theorie der komparativen Vorteile hat die wirtschaftspolitische Diskussion des 19. Jahrhunderts über Freihandel und Schutzzölle stark beeinflusst. England schaffte beispielsweise 1846 den Getreidezoll ab. Die Theorie ist bis heute sehr einflussreich, z.B. als Leitlinie für internationale Handelspolitik, z.B. im GATT bzw. in der WTO zur Liberalisierung des internationalen Handels. Das Portrait von Ricardo schmückt heute die Web-Seite der WTO.

Freihandels-Theorem: Durch die Steigerung des internationalen Handels wächst die internationale Arbeitsteilung, dadurch können einzelne Länder ihre komparativen Vorteile besser nutzen, dadurch entsteht mehr Wohlstand für alle Länder.

Grundgedanken: Jede Produktion lässt sich bekanntlich auffassen als Kombination von sog. Produktionsfaktoren: natürliche Produktion, Boden, Arbeit, Kapital, Rohstoffe usw. Unterschiedliche Produktionen erfordern unterschiedliche "Faktorkombinationen": Es gibt z.B.:
- arbeitsintensive Produktionen: z.B. Textil und Bekleidung,
- rohstoffintensive Produktionen, z.B. Eisen-und Stahlindustrie,
- bodenintensive Produktionen, z.B. Landwirtschaft,
- kapitalintensive Produktionen, z.B. die Großchemie.

Nun ist die "Faktorausstattung" ("factor endowment") der einzelnen Regionen und Volkswirtschaften ist sehr unterschiedlich. Als Beispiel werden von Heckscher und Ohlin näher ausgearbeitet: Zwei-Länder-Beispiel mit Kapital und Arbeit: Länder mit guter Kapitalausstattung: z.B. Chemieindustrie; Länder mit Überfluss an billigen Arbeitskräften: Textil- und Bekleidungsindustrie. Politische Schlussfolgerung: Alle Länder spezialisieren sich auf solche Produktionen, für die ihre spezifische Faktorausstattung komparative Vorteile aufweist und beteiligen sich am internationalen Handel.

Kritik?

- Einige empirische Beobachtungen lassen sich mit dem H-O-Theorem gut erklären: Aufbau der Textil- u. Bekleidungsindustrie in Schwellenländern. Aber: die beobachtenden Muster sind in der Realität viel komplexer (z.B. wachsende Verflechtungen zwischen den Industrieländern mit sehr ähnlicher Faktorenausstattung! Nach H&O dürfte hier überhaupt kein Außenhandel stattfinden.

- Wichtigste Kritik: Theorie unterstellt Immobilität der Produktionsfaktoren! Gegebene Faktorausstattung wird als unveränderlich angesehen. Dagegen: Kapital ist hochmobil (FDIs!), Arbeit ist teilweise mobil (Wanderungen). Die H-O-Theorie kann also allenfalls Außenhandel erklären (mehr schlecht als recht), aber nicht die Tätigkeit von TNCs.

- Transportkosten werden ausgeklammert (bzw. gleich 0 gesetzt)! (Hier wäre allerdings eine Verbindung mit der klassischen Standorttheorie von Thünen, Weber usw. möglich). Hier liegt ein Ansatzpunkt der sog. "Neuen Wirtschaftsgeographie" von P. Krugman.

Fazit: Klassische Außenhandelstheorie ist a) statisch und b) unräumlich. (Aber auch die klassische Standorttheorie (Thünen, Weber) kann die modernen Muster des Welthandels und der Globalisierung nicht hinreichend erklären). Deshalb werden hier neue Theorieansätze stärker betont, die einen Beitrag zum Verständnis der Dynamik, der Prozesse leisten:

- Theorien des technologischen Wandels,

- mikroökonomische Betrachtung/Produktzyklus-Theorie,

- Interferenz mit staatlicher und internationaler Politik.
 
 

Die Rolle der Politik

Thema dieses Kapitels: die "politische Dimension" der Weltwirtschaft, d.h. wir fragen nach den wechselseitigen Beziehungen zwischen der Internationalisierung der Ökonomie und dem politischen System.

Traditionelles Bild: die Welt besteht aus einem "Mosaik von Nationalstaaten"; die Wirtschaft und ihre politische Regulation ist primär eine Angelegenheit der ca. 170 autonomen Nationalstaaten (mit ihren "Volkswirtschaft"), d.h.:

- Volkswirtschaften sind weitgehend geschlossene Systeme mit Außengrenzen als Barrieren;

- Volkswirtschaften unterliegen der nationalstaatlichen Regulation (Gesetzgebung, Wirtschaftspolitik, Normen, Qualifikation etc.);

- Internationale Wirtschaft war im wörtlichen Sinn "Außenhandel".

Abgesehen von der Frage, ob dieses idealtypische Bild jemals in der Realität existiert hat (vgl. Kapitel über die Herausbildung des kapitalistischen Weltsystems), trifft es heute immer weniger zu:

Insofern bleibt die Politik der Nationalstaaten immer noch eine höchst relevante Größe. Nationalstaatliche Territorien mit ihren Grenzen bilden weltwirtschaftliche "Diskontinuitäten" der Weltwirtschaft.

Andererseits:

Dabei sind grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten denkbar: Dem entspricht eine Stufung zunehmender Integration (vgl. Fig. 3.10):

1) Freihandelszone,

2) Gemeinsame Außenhandelspolitik gegenüber Nicht-Mitgliedern,

3) Freie Faktormobilität zwischen den Mitgliedsländern (Kapital, Arbeit, Technologie),

4) Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken unter supranationaler Kontrolle,

5) Währungsunion.

GATT/WTO

GATT: "General Agreement on Tariffs and Trade", d.h. Allg. Zoll- und Handelsabkommen; gegründet 1947 als dritter Pfeiler neben den beiden Organisationen "Int. Währungs-Fonds" (IMF) und "Weltbank", um unter maßgeblicher Führung der USA die Weltwirtschaft zu ordnen und zu stabilisieren.

1947: 23 Unterzeichnerstaaten, heute 134 Staaten, weitere 30 Staaten wenden die Prinzipien de facto an ohne formale Unterzeichnung.

Das Oberziel: Förderung des Welthandels durch Abbau von Handelshemmnissen; (Grundlage: klassische Außenhandelstheorie (Smith-Ricardo-Heckscher-Ohlin) mit dem Theorem: Steigerung des internationalen Handels erhöht die Wohlfahrt der beteiligten Länder, wenigstens auf längere Sicht); dieses Oberziel soll durch drei Hauptziele erreicht werden:

1. Senkung von Zöllen;

2. Verbot von Mengenbeschränkungen und anderen sog. nichttarifären Handelsbeschränkungen;

3. Beseitigung von Handelsdiskriminierungen.

Die Umsetzung dieser Ziele basiert auf den Prinzipien der Wechselseitigkeit und Nicht-Diskriminierung. Ein zentrales Element ist das sog. "Meistbegünstigungsprinzip", d.h. Handelskonzessionen, die zwischen zwei GATT-Ländern abgeschlossen werden, müssen allen anderen GATT-Ländern ebenfalls zugestanden werden.

GATT war zunächst eine Abkommen hauptsächlich zwischen Industrieländern. Die damit unzufriedenen Entwicklungsländer gründeten 1964 die UNCTAD (UN Conference on Trade and Development). Inzwischen sind viele EL Mitglied des GATT und versuchen mit mehr oder weniger Erfolg, ihre Interessen dort einzubringen, so dass die Verhandlungen des GATT heute nicht nur durch Interessengegensätze innerhalb der Triade, sondern auch durch den großen Süd-Nord-Gegensatz geprägt sind.

Die Arbeit des GATT geschah in sog. Runden;

- Runden werden immer länger, da Verhandlungen komplexer;
- bisher letzte Runde: sog. Uruguay-Runde 1986-93 (geplant 1986-90);
Dort beschlossen: Errichtung der GATT-Nachfolge-Organisation: WTO:

WTO = World Trade Organization als feste UN-Handelsorganisation zum 1.1.1995 in Genf gegründet. Aufgabenbereich der WTO ist umfassender als der des GATT. Beispielsweise ist ein Schlichtungssystem bei internationalen Handelskonflikten eingerichtet worden. Dies ähnelt einem Gerichtsverfahren; allerdings verfügt die WTO über wenig Sanktionsverfahren; sie kann lediglich Länder auffordern, ihr Verhalten zu ändern oder Strafaktionen anderer Länder gutheißen.

Nächste WTO-Runde 2000ff.; darin wird u.a. der europäische Agrarmarkt ein kontroverser Verhandlungsgegenstand sein.

Welche Handelshemmnisse sind Gegenstand der WTO?

Polit. Maßnahmen, die auf den Import gerichtet sind (Fig. 3.5):

Zölle sind signifikant gesunken und stehen heute nicht mehr im Zentrum der Welthandelspolitik.

Wichtiger sind demgegenüber geworden: "nichttarifäre Hemmnisse":

Andererseits exportorientierte Maßnahmen, meist gerichtet auf Förderung der Exporte: = Legitime staatliche Maßnahmen zur Förderung erwünschter bzw. zur Abwehr unerwünschter Entwicklungen oder Werkzeuge aus der Folterkammer der merkantilistischen Wirtschaftspolitik zur Strangulation des internationalen Handels?

Übergänge zwischen überholtem Merkantilismus und marktwirtschaftlicher Handelspolitik sind fließend! Z.B. Förderung von Exportmessen wie Hannover? Technologieförderung? Mittelstandsförderung? usw.

Zweiter Politikbereich: gerichtet auf ausländische Investitionen (Fig. 3.7):

Dieser Bereich wird von der WTO zunehmend in ihr Interessenfeld mit einbezogen, so wurden in der Uruguay-Runde einige "trade-related investment-measures" (TRIM) diskutiert. Bisher allerdings noch keine umfassende (De-)Regulation durch die WTO.

Dritter Politikbereich: Industriepolitik (im wesentlichen national).

Vgl. Fig. 3.9 mit Übersicht über typische Instrumente nationaler Industriepolitik. Seit 70er Jahren: Trend zur Deregulierung in vielen Staaten. Aber WTO hat kaum Einwirkungsmöglichkeiten auf nationale Industriepolitik; eher indirekte Einwirkungen.

Haupt-Konfliktlinien im GATT bzw. in der WTO:

(1) Industrieländer - Entwicklungsländer insb. wegen Abschottung der IL-Märkte, z.B. EU-Agrarmarkt.

(2) USA - Rest der Welt, insb.

a) Japan wegen anhaltender Ungleichgewichte des Handels,
Vorwurf der mangelnden Offenheit des japan. Marktes; aktuell: WTO-Verhandlungen über Liberalisierung der Telekommunikations-Märkte von USA gestoppt mit dem Vorwurf, Japan sei nicht zur Marktöffnung bereit.

b) China mit dem Hauptvorwurf: Missachtung des Copyrights durch Raubkopien;
Schädigung der US-Unterhaltungs- und Software-Industrie mit einem geschätzten Schaden von 2 Mrd US $. Drohung: Strafzölle auf chinesische Handelsgüter.

c) EU wegen Außenhandelsbeschränkungen der "Fortress Europe", Beispiele: Hähnchen, Bananen, Hormonfleisch.
 
 

Seit dem Zweiten Weltkrieg immer wichtiger: Internationale regionale "Wirtschaftsblöcke" (Freihandelszonen, Gemeinsamer Markt o.ä.):

Übersicht der regionalen Handelsblöcke, beginnend mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 etc. (Table 3.3); dazu Fig. 3.10: Stufen der ökonomischen Integration.

Motive der Bildung von solchen Wirtschaftsblöcken:

1. Beispiel: Europäische Union

Übersicht der Entwicklung:
- 1952 Europ. Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion)
- 1957/58 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und EURATOM
- 1967 Vereinigung von Montanunion, EWG und EURATOM zur EG
- 1993 Gemeinsamer Binnenmarkt, Umbenennung in "Europ. Union" (EU)

Gründungsmitglieder: B, D, F, I, Lux, NL = 6 Gründungsländer;

1973 sog. Norderweiterung: GB, IR, DAN = EG der 9;

1981 Griechenland, 1986 Portugal u. Spanien ("Süderweiterung") = EG der 12;

1995 Österreich, Finnland, Schweden = EU der 15.

1975 Lomé-Abkommen mit sog. AKP-Ländern (ehem. Kolonien Afrikas, der Karibik und des Pazifiks) zur Quasi-Assoziierung mit der EG; AKP-Länder haben freien Zugang zum EU-Markt, dies ist allerdings für Industriewaren weniger wichtig als für Rohstoffe und Nahrungsmittel.

1960 EFTA (Europ. Free Trade Ass.) als Nicht-EG-Freihandelszone gegründet, verlor jedoch mit dem Übertritt von GB, IR und DK an Bedeutung.

1991 EG und EFTA beschlossen "Europ. Wirtschaftsraum" (EWR); allerdings hat Schweiz in einer Volksabstimmung den Beitritt abgelehnt. Ziel: Ausbau zur Freihandelszone mit den "vier Freiheiten" der Mobilität: Güter, Dienstleistungen, Arbeit, Kapital. Als Kandidaten bleiben insofern nur NOR und IS.

Osterweiterung? 1990 durch dt. Einigung wurde ehem. DDR mit in EG einbezogen. Beschluss des Ministerrats im Juli 1997 zur Vorbereitung von Aufnahmeverhandlungen bis 2002 für eine erste Gruppe von Ländern: Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland und Zypern. Was wird mit den weiteren Kandidaten Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Slowakei, Litauen, Lettland?

Bis Ende 1992: Schaffung eines gemeinsamen Marktes (Vollendung des europ. Binnenmarktes) mit 330 Mio Ew. (EU der 15: ca. 350 Mio Ew.) Wichtige Elemente:

Weitere Entwicklung zur "Europäischen Union":

Grundlage: "Vertrag über die Europ. Union" von Maastricht Dez. 1991:

Erwartete Vorteile der europ. Integration:

- Wegfall der Mobilitätshemmnisse verbessert die Faktorallokation;

- Vergrößerung der Märkte ermöglicht Skalenerträge;

- Verstärkung des Wettbewerbs dämpft die Preise und erhöht die Kaufkraft und globale Wettbewerbsfähigkeit in der Triade.

Effekt auf die Welt außerhalb Europas: EU wird zur "Festung Europa" ("Fortress Europe"). Mögliche Folgen:

- die Außengrenze der EU wird immer bedeutsamer; der größte Binnenmarkt der Welt wirkt diskriminierend auf Nicht-Mitglieds-Länder.

- Weitere angrenzende Länder werden versuchen, beizutreten.

- FDIs werden stimuliert, d.h. außereuropäische TNCs "müssen" auf dem EU-Markt präsent sein.

2. Beispiel: Nordamerika - NAFTA

Tradition der liberalen Wirtschaftspolitik in USA bedeutete: Verzicht auf "Industriepolitik", d.h. direkte Einwirkung des Staates; der Staat beschränkt sich auf weitgehend auf die Schaffung von Rahmenbedingungen für private Investitionen.

Allerdings: Staatliche Ausgaben, insb. für Rüstung, sind bedeutender Faktor; bei großen Unternehmenskrisen half der Staat, z.B. Lockheed 1971, Chrysler 1979.

Außenwirtschaft: als größte und stärkste Ökonomie der Erde war die USA immer ein Anwalt des Freihandels (ähnlich wie GB im 19. Jh.).

Seit 70er Jahre jedoch zunehmend Außenhandelsdefizite, insb. mit Japan; dadurch "new protectionism", d.h. staatliche Maßnahmen, die ideologisch begründet werden mit Maßnahmen zur Förderung des Freihandels ohne Handelshemmnisse;

Bsp.: "Marktordnungsabkommen" (orderly marketing arrangements) insb. mit Japan, z.B. über Textilien, Autos, Elektronik.

"Trade Act" 1974: befürwortet bilaterale Handelsabkommen unter Berücksichtigung nichttarifärer Hemmnisse;

"Omnibus Trade and Competitiveness Act" (OTCA) 1988 mit der sog. "Super-301-Klausel": Bei unfairen Handelspraktiken eines Landes kann die US-Regierung Importstopps verhängen; dies zuerst 1989 angewandt auf Japan, Indien und Brasilien.

D.h.: unilaterale Maßnahme in Ergänzung zur multilateralen Politik des GATT!

= Handelsdefizite der USA als Auslöser von sog. "Handelskriegen".

NAFTA ("North American Free Trade Agreement")

Vorstufe 1989 Gemeinsamer Markt Kanada-USA,

1991/92 Verhandlungen, 18.12.1992 Vertragsunterzeichnung, 1993 von allen drei Staaten ratifiziert; NAFTA ab 1.1.1994 in Kraft.

USA-Kanada-Mexiko mit 370 Mio Ew. etwas größer als EU.

Ziel: Verwirklichung einer Freihandelszone in den nächsten 10-15 Jahren für 20000 gewerbliche Güter, Dienstleistungen und Kapitalverkehr (also nicht: Arbeitskräfte).

Agreement von 1993: einzelne Punkte vgl. Box 3.4.

Interesse der USA: Ausdehnung des Marktes, Einbeziehung von Ländern als Standorte von FDIs,

Kanada: Vertrag war politisch sehr umstritten wegen zunehmender wirtschaftlichen Abhängigkeit (Kanadas Exporte gingen 1994 zu 82% in die USA und 69% aller Importe kamen aus den USA!); andererseits: eine Erschwerung des Zugangs des US-Marktes würde die kanadische Wirtschaft existentiell treffen.

Mexiko: nur durch Wachstumsstrategie Ausweg aus der Schuldenfalle, Mexiko versucht, US-FDIs anzuziehen wegen des niedrigeren Lohnniveaus.

In den letzten Jahren hat sich nach der NAFTA-Implementierung Ernüchterung breit gemacht. Z.B. Handelsscharmützel USA-Mexiko: Mexiko erhöhte Zölle auf US-Wein und andere alkoholische Getränke; im Gegenzug reagierten die USA mit einer Erhöhung von Zöllen auf mexikanische Strohbesen.

Ähnlich: Handelskonflikte USA-Kanada um Holz, Bier, Druckerzeugnisse und Pelze.

Dennoch: nach der NAFTA-Bildung starker Anstieg der Handelsströme; aus dem bisherigen Handelsüberschuss der USA gegenüber Mexiko ist inzwischen ein Defizit geworden (nicht zuletzt wegen US-FDIs in Mexiko).

Plan der Erweiterung der NAFTA um Chile vorerst gescheitert. Chile will daraufhin ebenso wie Bolivien 1997 dem südamerikanischen "Gemeinsamen Markt der Südspitze" MERCOSUR beitreten (bestehend bisher aus Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay; seit 1991 schrittweise nach dem Modell EWG etabliert).
 
 

3. Beispiel APEC (Asia-Pacific Economic Co-operation Forum)

1994 durch Konferenz in Jakarta beschlossen unter Teilnahme aller wichtigen Länder rund um den Pazifischen Ozean; zunächst nur ein politischer Konsultationsverbund, allerdings Ziel: bis 2010 circumpazifische Freihandelszone.

Nationale Motive der Mitgliedsländer sind sehr unterschiedlich: USA hat große Wirtschaftsinteressen in Ostasien und möchte diesen Raum nicht dem Einfluß Japans überlassen. Japan hat sowohl in Ostasien als auch in Nordamerika Handelsinteressen. China sucht internationale wirtschaftspolitische Anerkennung (z.B. Aufnahme in WTO). Kleinere Länder möchten nicht in Abhängigkeit einer Wirtschafts-Großmacht geraten.

Bisherige jährliche Konferenzen haben aber nur wenige konkrete Ergebnisse gezeigt. Probleme: weitreichende Unterschiede des Entwicklungsstands und der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen der APEC-Länder, politische Interessenunterschiede der Nationalstaaten.

Bisherige Erfolge beziehen sich vor allem auf bilaterale Konsultationen und Absprachen der Staatschefs am Rande der APEC-Konferenzen.
 
 

4. Beispiel: AFTA (ASEAN Free Trade Agreement)

Knüpft an den ursprünglich sicherheitspolitisch motivierten Bund der ASEAN-Länder Südost-Asiens (1967) an; 1992 beschlossen, um die ASEAN-Zone bis 2003 zu einer Freihandelszone weiterzuentwickeln. Damit soll der Handel zwischen den ASEAN-Ländern gefördert und zugleich ein Gegengewicht gegen Großmächte Japan und USA geschaffen werden

Probleme: Große Heterogenität und Interessenunterschiede zwischen den ASEAN-Ländern (insb. nach der Aufnahme von Vietnam, Myanmar und Kambodscha); nationale Eigenständigkeit der "jungen" Nationalstaaten; Asien-Krise; Wirtschaftsverflechtungen zwischen den Ländern sind relativ gering, da die Ökonomien stark auf J und USA ausgerichtet sind. Durch die "Asienkrise" 1997ff. stehen wieder die nationalen Politik und die Rücksichtnahme auf heimische Branchen im Vordergrund.

Bewertung der regionalen Blockbildungen?

WTO: Regionale Zusammenschlüsse widersprechen zwar dem Meistbegünstigungsprinzip des GATT, können aber sinnvoll sein als Freihandels-"Lokomotive", wenn diese Gebilde sich nicht abschotten, sondern offen für weitere Beitritte sind mit dem Ziel, schließlich alle Länder der Erde zu umfassen.
 
 

Nationale Regulationen

Trotz aller Ansätze zu supranationalen Regulationen durch WTO, regionale Blockbildungen usw. bleiben die Nationalstaaten für die Entwicklung der Weltwirtschaft wichtige politische Akteure. K. Ohmae übertreibt maßlos, wenn er das "Ende des Nationalstaates" (1995) festzustellen glaubt. Zwar besitzen die Nationalstaaten im Zeitalter der zunehmenden globalen Integration der Güter-, Finanz- und Kapitalmärkte nicht mehr die frühere wirtschaftspolitische Autonomie, aber das bedeutet noch längst nicht, dass sie bedeutungslos geworden wären.

Beispiel Japan

Rolle des Staates in Japan völlig anders als in USA oder Europa. In Übereinstimmung mit der historischen Tradition wird ein Zusammenwirken von Wirtschaft und Staat als normal, d.h. legitim angesehen. Von den großen Unternehmen wird akzeptiert, dass die japanische Regierung Leitlinien vorgibt, Prioritäten der Technologieförderung setzt, den Strukturwandel aktiv fördert und koordiniert, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Wirtschaft in der Weltwirtschaft zu sichern und zu fördern.

Tradition: Japan hat weder bedeutende Bodenschätze noch reiche Agrarwirtschaftsbasis; die Modernisierung des Landes nach der sog. Meiji-Restauration war eine Modernisierung "von oben", nicht ein urwüchsiger Prozeß, der vom kapitalistischen Bürgertum gegen den (Feudal-)Staat ausging. Dadurch bekam das strategische Zusammenwirken Staat-Wirtschaft historische Legitimation!

Inzwischen fast legendäres, aber wahrscheinlich überschätztes Renommee: MITI (Ministry of International Trade and Industry). Seit seiner Gründung 1949 liegt hier die Denk- und Schaltzentrale der japanischen Außenwirtschaftspolitik.

Strategie:

a) Auswahl strategisch wichtiger Industriebranchen;

b) Erwerb des technischen Know-hows durch Lizenznahme;

c) Förderung des Aufbaus und des Wachstums einschlägiger Unternehmen in diesen Branchen unter Beachtung aktiven Wettbewerbs, zunächst konzentriert auf den geschützten Binnenmarkt;

d) Förderung der Exporte in diesen Branchen, ggf. im großen Maßstab bis zur Eroberung des Weltmarkts.

Welche Branchen? In 50er/60er Jahren: Stahl, Schiffbau, Energie, Düngemittel;

70er Jahre: Petrochemie, Kunststoffe, Kunstfasern, Autos, Elektronik (z.B. Kameras, Radios, Fernseher). Um 1970: Japan war Weltmarktführer bei Stahl, Schiffbau, Konsumgüter wie Motorräder und Kameras.

1971/74: strategische Neuorientierung der MITI-Industriepolitik:
weniger kapitalintensive Massenfertigung mit hohem Anteil wenig qualifizierter Beschäftigter, sondern Orientierung auf High-Tech-Zweige (unter Aufnahme von Technologie-Zyklus-Gedanken):

Stufen des industriellen Lebenszyklus mit antizyklischem politischen Handlungsbedarf: (A) junge Industrien (staatliche Unterstützung z.B. durch Technologiepolitik ("Geburtshilfe); (B) reife Industrien (keine Staatsintervention); (C ) alte Industrien (staatliche Aufgabe: soziale Abfederung; "Sterbehilfe"). Diese Denkweise ist in Japan (im Unterschied zu Deutschland) Leitlinie der Wirtschaftspolitik.

Konsequenzen:

gezielte Förderung zukunftsträchtiger Felder;

konsequenter Ausstieg aus "alten" Feldern (Stahl, Schiffbau), die z.B. den EL überlassen werden.

Aktuelle Situation:
Anzeichen mehren sich, dass die Rolle des MITI zurückgeht. Gründe: - Das MITI erlebte in den letzten Jahren einige eklatante Mißerfolge: 80-82 Projekt "fünfte Computergeneration" (mit KI und automatischer Spracherkennung) erfüllte nicht die Erwartungen; ebenso HDTV (high definition TV) erwies sich gegenüber der digitalen TV-Technologie der USA als unterlegen. Die Förderung der Luft- und Raumfahrt war ohne ökonomische Effekte, weil es hier keinen funktionierenden Weltmarkt gibt.

- Große Unternehmen sind leistungsfähige Technologiekonzerne, deren Planungsabteilungen ebenso gut wie das MITI sind.

- Kritiker: Die mittelfristige Festlegung auf strategische Branchen führt zu mangelnder Flexibilität ("Tankerflotte kann nicht kurzfristig ihre Richtung ändern").

- Die Raison d'être des MITI war, den Rückstand Japans gegenüber Europa und den USA aufzuholen; die strategische Orientierung des MITI richtete sich insbesondere nach den USA und war erfolgreich beim Aufbau von fordistischen Massenproduktionen; diese einfache Planungsphilosophie reicht heute nicht mehr, da Flexibilität auf allen Ebenen zu einer wettbewerbsentscheidenden Ressource geworden ist.

Folge: Form der industriepolitischen Steuerung durch das MITI wird lockerer, flexibler. Nur noch allgemeinere Vorgaben.

Haltung Japans gegenüber FDIs:
Japanische Wirtschaftspolitik war bis ca. 1970 ausgesprochen neo-merkantilistisch: geschützter Binnenmarkt, Aufbau und strategische Förderung der Exportwirtschaft.

In 70er Jahren zweifache Änderung:

zunächst Förderung japanischer FDIs in den wichtigsten Zielländern, und zwar aufgrund von 2 Faktoren:

a) Importbarrieren auf wichtigen Zielmärkten, in 70er Jahren Europa, in 80er Jahren zunehmend USA;

b) Höhenflug des Yen seit 1985 bis heute; dadurch Verteuerung der Produktion in Japan.

Seit 80er Jahren auch - zögernd - Öffnung des japanischen Marktes für ADIs; die Rolle noch bestehender nichttarifärer Handels- und Investitionshemmnisse in Japan ist sehr umstritten und wird - vor allem von Politikern - sehr kontrovers eingeschätzt.

Schwellenländer (NICs)

Recht heterogene Gruppe, auch bezüglich staatlicher Einflussnahme auf die Wirtschaftsentwicklung. Legende, basierend auf falschen Medienberichten: NICs seien Marktwirtschaften ohne bedeutende Staatsintervention. Tatsächlich: teilw. Industrien in Staatseigentum, teilw. Handelspolitik/-hemmnisse, teilw. forcierte Technologiepolitik.

Grundsätzlich 3 mögliche Industrialisierungsstrategien:

1. Verarbeitung einheimischer Rohstoffe;

Ziel: nicht Export von Rohstoffen, sondern größere Wertschöpfung und mehr Arbeitsplätze im eigenen Land.

2. Importsubstituierende Industrialisierung;
Ziel: Aufbau von Industrien für Binnenmarkt, um damit die Außenhandels- und Zahlungsbilanz zu verbessern.

3. Exportorientierte Industrialisierung;
Ziel: Nutzung von komparativen Vorteilen, insb. der niedrigen Arbeitskosten; Folge: bewusste Weltmarktintegration.

Wahl der Strategien hängt ab von:

- individueller Faktorausstattung;

- Größe, insb. Größe des Binnenmarktes,

- Regierungspolitik, z.B. gegenüber FDIs.

Diskussion der strategischen Optionen

1. Verarbeitung einheimischer Rohstoffe?

Erfahrung: wenig erfolgreich; erfolgreiche NICs haben diese Strategie nicht verfolgt.

Gründe: Rohstoffausbeutung liegt in den Händen von TNCs, deren Interessen aber häufig nicht mit denen der betr. Länder übereinstimmen. Z.B. Eisenerz: nur teilw. Pelletierung mit höherem Fe-Gehalt; Erdöl: Aufbau von Raffinerien, aber sonst?

2. Importsubstituierende Strategie?

Allgemein dominierende Strategie in der Nachkriegszeit, speziell in den 50er bis 70er Jahren, z.B. in den NICs Lateinamerikas (Brasilien) und Südasiens (Indien), teilw. auch Afrikas und Ostasiens.

Strategie: geschützter Aufbau einheimischer Industrien, meist zunächst von Konsumgüterindustrien, später auch Investitionsgüterindustrien; teilw. abweichende Strategie: zuerst Aufbau von Grundstoffindustrien, z.B. Stahlindustrie in Indien und Ghana. Hohe Zölle und nichttarifäre Schutzmaßnahmen.

Insg. Resultat: nur teilweise erfolgreich, speziell bei großen Binnenmärkten und Aufbau z.B. von Textil- und Bekleidungsindustrie wie in Lateinamerika und Indien.

Nachteile: hohe Binnenmarktpreise wegen fehlender Weltmarktkonkurrenz; schlechte Handels- und Zahlungsbilanz wegen hoher Importe von Investitionsgütern. Gilt als Kernstück der "autozentrierten" Entwicklungspolitik heute als weitgehend gescheitert.

3. Exportorientierte Strategie?

Seit 60er Jahren und speziell seit 80er Jahren zunehmend favorisiert aufgrund des Erfolgs Japans und der Tigerländer. Klare Korrelation zwischen Wachstumsraten 1963-73 und 1973-85 einerseits sowie der Innen- bzw. Außenorientierung der jeweiligen nationalen Wirtschaftspolitik.

Interpretation: Bestätigung der klassisch-neoklassischen Außenhandelstheorie (Nutzung der komparativen Vorteile gemäß der jeweiligen Faktorausstattung; dadurch positive Effekte forcierter Weltmarktintegration)? Im Großen und Ganzen durchaus plausibel, allerdings nicht allein entscheidend, nur in Verbindung mit gezielter Politik, d.h. Weltmarktintegration eine notwendig, aber nicht hinreichende Bedingung?

Wichtige Voraussetzungen für diese Strategie:

- Liberalisierung des Welthandels (insb. durch GATT),

- Raum-Zeit-Konvergenz durch neue Transport- und Kommunikationstechnologien und relative Verbilligung der Transportkosten, - global operierende TNCs.

Politische Maßnahmen der NICs:

- Währungsabwertung, um die Wettbewerbsfähigkeit der Exportprodukte auf dem Weltmarkt zu verbessern;

- Industriepolitik (mit Technologie-, Bildungs- und Qualifizierungspolitik, konzentriert auf Exportsektoren),

- Liberalisierung gegenüber FDIs, z.B. lateinamerikanische Länder: bis 80er Jahre relativ restriktiv, in den meisten Ländern waren nur joint ventures mit einer ausländischen Kapitalbeteiligung von bis zu 49% zu gelassen; in letzten Jahren jedoch Änderung aufgrund von zwei Faktoren: 1) relative Erfolglosigkeit der bisherigen Politik, 2) Erfolg der Weltmarktintegrationspolitik der Tigerländer.

Tigerländer: Singapur und Hongkong sehr liberal, Taiwan und Südkorea dagegen traditionell restriktiv mit dem Ziel des Aufbaus nationaler Industrien! Seit ca. 1986/90 jedoch Wandel: Strategie weg von arbeitsintensiven Low-Tech-Produkten und hin zu High-Tech-Produktmärkten; dieser Wandel kann nur mit größerer Offenheit gegenüber FDIs gelingen.

Einrichtung von Exportindustriezonen ("Export processing zones"), = kleine, räumlich abgegrenzte Gebiete mit vergleichsweise besonders günstigen Investitions- und Handelsbedingungen, z.B. FDI-Freiheit, Steuervorteile, Zollfreiheit. = Exportenklaven!

Fig. 4.4: Im Jahre 1993 bestanden ca. 200 Zonen, fast alle in 70er und 80er Jahren, besonders viele in Mittelamerika und Südostasien. Konzentration der Zonen in Asien auf die Tigerländer; Hongkong und Singapur sind selbst im ganzen de facto EPZs; sie haben jedoch spezielle "industrial estates" eingerichtet. Malaysia, Philippinen, Sri Lanka versuchen, dem Modell zu folgen.

Seit Ende 70er Jahre: "Sonderwirtschaftszonen" und sog. "offene Städte" an der Küste der VR China, darunter die weitaus größte: Shenzhen an der Grenze zu Hongkong, allein über 300.000 Beschäftigte. = Versuch einer (zunächst?) räumlich begrenzten Weltmarktintegration Chinas. Vgl. Fig. 4.6.

Taiwan: Hsinchu = Science- und Industrie-Park bei Taipeh, konzentriert auf High-Tech-Industrien.

Exportindustriezonen sehr ambivalent und deshalb anfangs eher kritisch eingeschätzt: hohe staatliche Vorleistungen (Infrastruktur, insb. Verkehr, Erschließung), relativ niedrige Steuererträge, Konkurrenz für "normale" Exportindustrie. Andererseits: zunehmender Wettbewerbs von NICs und EL um FDIs, große Beschäftigungsprobleme.

Fazit: Strategie der importsubstituierenden Industrialisierung und der Abkoppelung vom Weltmarkt wird immer weniger vertreten. Jedoch haben erfolgreiche NICs keineswegs ein liberalistisches Laisser-faire-Prinzip vertreten, sondern die Weltmarktintegration durch aktive staatliche Politik betrieben.

Sind autozentrierte Entwicklung und Weltmarktintegration zugleich möglich?

Wie muss ein erfolgreicher Policy-Mix aussehen?
 

Kapitel 06 Die Rolle des technologischen Wandels

Theorieansatz: Technischer/technologischer Wandel oder "technischer Fortschritt" als wichtiger Motor der Weltwirtschaftsentwicklung.

Die klassische Außenhandelstheorie war im Kern ein statischer Ansatz, sie suchte nach einem Gleichgewichtszustand. Unterschiede des technologischen Entwicklungsstandes wurden zwar mit einbezogen, doch lediglich als Konstante und in der Wirkung auf international differierende Arbeitsproduktivitäten. Die räumliche Mobilität von Informationen/Wissen wurde hingegen nicht berücksichtigt.

Neuansatz mit einer dynamischen Betrachtungsweise insb. seit den dreißiger Jahren durch Schumpeter und Kondratieff.

Joseph Schumpeter (österr. Ökonom), Veröff. insb. in den 30er Jahren;

(1912): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Leipzig. 5. Aufl. Berlin 1952.
(1939): Konjunkturzyklen. Eine theoretische, historische und statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses. 2 Bde. 2. Aufl. Göttingen 1961.
Typisches Zitat: "Der fundamentale Impuls, der die kapitalistische Maschine in Bewegung versetzt und hält, kommt von neuen Konsumgütern, neuen Methoden der Produktion und des Verkehrs, neuen Märkten, den neuen Kräften der industriellen Organisation, die das kapitalistische Unternehmen schafft."

Innovationen (wörtl. "Neuerungen") sind von schlüsselhafter Bedeutung für die Dynamik der Wirtschaftsentwicklung, d.h. speziell für das wirtschaftliche Wachstum und für den Strukturwandel.

Typen von Innovationen:

1) Produktinnovationen (neue Güter, neue Gütermärkte),

2) Prozessinnovationen (neue Verfahren der Produktion, Verarbeitung, Organisation)

3) Sozialinnovation (gesellschaftliche Organisation, Werte, Gesetze, "Arbeitskultur" usw.

Eine Innovation umfaßt in der Regel folgende Elemente/Phasen:
a) Invention (Erfindung) geogr. Frage: wo? und warum wo?

b) Diffusion geogr. Frage: raum-zeitliche Diffusion?

c) Adaption, Adoption geogr. Frage: räumliche Auswirkung?

Diese Elemente/Phasen können sowohl zeitlich als auch räumlich auseinanderfallen, d.h. eine Invention wird möglicherweise erst nach einer raumzeitlichen Diffusion mehrere Jahre später in einem ganz anderen Land aufgegriffen (Adaption) und in die Praxis umgesetzt.

Wenn die Bedeutung technischer Innovationen betont wird, besteht die Gefahr eines "technologischen Determinismus", d.h. eine monokausale Interpretation, die die "letzte Ursache" in technologischen Entwicklungen begründet sieht. Dagegen steht die sozialwissenschaftliche Sicht: Technologie hat eine naturwissenschaftlich-technische Seite und eine gesellschaftswissenschaftliche Seite, d.h. technologische Entwicklung ist immer auch ein sozialer Prozess.

Joseph Schumpeter: Innovationen haben eine schöpferische und zugleich zerstörerische Funktion. Die Wirtschaftsentwicklung lässt sich charakterisieren durch eine Abfolge von Basisinnovationen. Solche technischen Neuerungen treten i.d.R. gehäuft auf und bilden dann ein ganzes neues technologisches System. bestehend aus (Bsp. Elektrizität):
- neuen Gütern, z.B. Elektrogeräte, Lampen;
- neuen Verfahren, z.B. Einsatz von Elektromotoren,
- neue gesellschaftliche Formen, oft nur mittelbar, z.B. elektr. Straßenbahn, Pendlerverkehr.

Dadurch werden alte Güter und Verfahren (und soziale Verhaltensweisen) obsolet. Schumpeter spricht von "schöpferischer Zerstörung" (z.B. elektr. Kraft statt Dampfkraft).

Nikolas Kondratieff (russ. Ökonom in 20er und 30er Jahren; insb.: "Die langen Wellen der Konjunktur". In: Archiv f. Sozialwiss. u. Sozialpolitik 56, 1926): Die Basisinnovationen treten nicht kontinuierlich, sondern in regelmäßigen Zeitabständen auf: Modell der "langen Wellen" von ca. 50-55 Jahren! Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und der Mitte des 20. Jahrhunderts vier solcher Zyklen stattgefunden haben:

Jeder Zyklus besteht aus Phasen: Prosperität - Rezession - Depression - Erholung. Die langen Wellen überlagern die kürzeren Konjunkturzyklen (ca. 7 Jahre).

Theorie: Auslösung durch bestimmte Basis- und Schlüsselinnovationen. Diese führen zu einem neuen "technologischen System". Dies löst erhöhte Investitionen aus (neue Gütermärkte, neue Verfahren). Die Unternehmen (bzw. Regionen und Länder) können aufgrund des technologischen Vorsprungs sog. "Monopolrenten" realisieren. Mit zunehmender Reife der Güter und Märkte verlagert sich der Schwerpunkt der Innovationstätigkeit von den Produktinnovationen auf die Prozessinnovationen (Rationalisierung der Produktion und zunehmender Preiswettbewerb). Nachfrage ist saturiert, Unternehmensgewinne schrumpfen durch vermehrten Preiswettbewerb; Rationalisierung der Produktion führt zu erhöhter Arbeitslosigkeit. Unter dem Eindruck der Krise erfolgt eine verstärkte Suche nach neuen Basisinnovationen.

Zentraler Aspekt für Wirtschaftsgeographie: Jede Kondratieff-Welle hat ihre eigene "Geographie" mit räumlichen Schwerpunkten der Innovationen, mit "frühen Adoptoren" und spezifischen raum-zeitlichen Diffusionsmustern.
K1: Großbritannien, später auch Nordfrankreich und Belgien
K2: Großbritannien, Frankreich, Belgien, Deutschland, USA
K3: Deutschland, USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien
K4: USA, Deutschland, übriges westl. Europa, Japan, Kanada
K5: Japan, USA, Deutschland, übriges westl. Europa, Taiwan, Korea

5. Kondratieff durch "Informationstechnologie"?

Seit 1980er Jahren vielfach angenommen: neuer Zyklus durch Informations- und Kommunikationstechnologie. Führende Zentren: USA und Japan, ferner: EU, Taiwan, Korea.

Wesentliche Elemente dieses Zyklus: Schlüsseltechnologie: Mikroelektronik, insb. Entwicklung leistungsfähiger Chips, d.h. leistungsfähiger, kleiner und billiger Prozessoren und Speichermedien. Weniger die Entstehung neuer Gütermärkte ist wichtig (z.B. PCs), sondern die Durchdringung anderer Branchen! Insb. "Informationstechnologie" als Konvergenz von Kommunikations- und Computer-Technologien. D.h. ursprünglich getrennte Technologien werden miteinander verknüpft. Innerhalb dieser Entwicklung sinkt die Bedeutung der Hardware-Seite und steigt die Bedeutung der Software! D.h. "Tertiärisierung" der Produktion (Sektoreneinteilung wird immer mehr irrelevant).

Offene Fragen:

- Gibt es wirklich diesen 5. Kondratieff? = "tragende Welle"?

- Wie sieht die neue Geographie des 5. Kondratieff aus? Rolle alter Industriegebiete?

- Welche Bedeutung haben die Technologien? Steigt nicht parallel zur wachsenden Bedeutung der Software die Rolle der sozio-kulturellen Milieus? = sozial-kulturelle "Software" im weiteren Sinn (Hardware - Software - "Orgware" - "Cultware")!
Allgemeine Probleme der Lange-Wellen-Theorie:
: Was sind "Basisinnovationen"?

Warum gerade 50 Jahre-Zyklen?

Welche Rolle spielen die technischen Innovationen im Verhältnis zu ökonomischen und sozialen Prozessen (technologischer Determinismus)?
Lassen sich aus der Theorie Prognosen bezüglich eines "5. Kondratieff" ableiten? Methodologische Kritik: Dies wäre eine unzulässige historische Analogie!

Aus dem kritischen Argument, in der Theorie der langen Wellen werde lediglich ein bestimmter Typ von Innovationen ("Basisinnovation") betrachtet, hat Freeman (z.B. 1987, 1988) eine Typologie des technologischen Wandels abgeleitet. These: Es gibt unterschiedliche Typen von Innovationen, die sich meist überlagern.

1) Inkrementale Innovationen: stetige Verbesserung bestehender Produkte und Verfahren in kleinen Schritten;

2) Radikale Innovationen: weniger einzelne Innovationen, sondern vor allem Cluster von mehreren radikalen Innovationen erzeugen Diskontinuitäten der Entwicklung; Beispiele: Kunststoffe, Transistor und Halbleiter;

3) Neues "technologisches System": Kombination aus einem Cluster radikaler Innovationen, die mehrere Branchen betreffen, verknüpft mit neuen organisatorischen Formen; Beispiele: Automobilproduktion per Fließband; Transistoren/Fernsehen; Computer;

4) Neues "techno-ökonomisches Paradigma": revolutionärer Wandel einer ganzen gesellschaftlichen Konfiguration, bestehend aus technologischem System, ökonomischem System und gesellschaftlicher Regulation; Beispiele: industrielle Revolution; Wandel Fordismus/Postfordismus (?).

Rothwell unterscheidet drei Phasen unterschiedlicher Innovationstätigkeit der Nachkriegszeit, die den Prosperitäts- und Rezessionsphase entsprechen:

- 1945-64: neue Güter, neue Produktionen, neue Technologien und neue Produkte nicht überall verfügbar, desh. geringe Preiskonkurrenz der Anbieter Produktionswachstum stärker als Produktivitätszunahme, desh. auch Beschäftigungswachstum;

- 1964-1970: Innovationen waren mehr als Prozessinnovationen als Produktinnovationen; zunehmende Betriebskonzentration, immer noch starkes Wachstum; Produktionswachstum und Produktivitätszunahme im Gleichgewicht: konstante Beschäftigung; = "Konsolidierung"

- 1970-1980: "Saturierungsphase": vertikale integrierte große Produktionsbetriebe; Prozessinnovationen führen zu hoher Produktivität und zu Rationalisierungen; Nachfrage auf traditionellen Gütermärkten stagniert; Beschäftigung in der Industrie geht zurück!
 
 

Produktzyklustheorie (Raymond Vernon)

= wichtige Theorie, die a) die raumzeitliche Veränderung der Innovationstätigkeit und b) die Prozesse innerhalb von langen Wellen zu erklären versucht, ist die Produktzyklustheorie. Sie ist insofern komplementär zur Theorie der langen Wellen.

Vernon, Raymond: International investment and international trade in the product cycle. In: Quarterly Journal of Economics 80, 1966, S. 190-207.

Vernon, Raymond: The product cycle hypothesis in a new international environment. In: Oxford Bulletin of Economics and Statistics 41, 1979, S. 255-267.

Vernon entwickelte die Theorie am Beispiel USA-Europa-LDCs (less developed countries). Theorem: Mit zunehmender "Reife" erfolgt eine Verlagerung der Produktion von Ländern mit hohem technologischen Entwicklungsstand zu Ländern mit geringem technologischen Entwicklungsstand.

Räumliche Interpretation: Die frühe Phase eines Zyklus ist gebunden an die Metropolen der Industrieländer; in der Reifephase erfolgt eine allmähliche Verlagerung der Produktion zur Peripherie. Damit entsteht das Grundmuster eines raumzeitlichen Diffusionsprozesses. Dieses Grundmuster wurde in der klassischen Literatur für der Maßstabsebene der Weltwirtschaft postuliert (Vernon, Hoffmeyer); es lässt sich aber auch auf nationale Wirtschaftsräume anwenden (z.B. Diffusion der Industrien des 3. Kondratieff von Berlin aus im Deutschen Reich).

Beispielstudie: E. Hoffmeyer: Dollar shortage. Amsterdam 1958. Über das klassische Beispiel der Büromaschinen: Schreibmaschinen und Registrierkassen waren US-Erfindungen vom Ende des 19. Jahrhunderts; daraufhin war seit ca. 1900 US-Industrie bald Weltmarktführer. Nachdem wenig Verbesserungsinnovationen erfolgten, verlagerte sich die zunehmend standardisierte Produktion nach Europa, wo die Löhne deutlich niedriger lagen. In USA entstanden neue Büromaschinen: Adressier- und Vervielfältigungsmaschinen. Ähnliche Vorgänge bei Staubsaugern, Waschmaschinen, bügelfreien Hemden.

Diese Prozesse können sowohl zwischen Unternehmen oder auch innerhalb von TNCs ablaufen! D.h. Strategie eines TNC kann unterschiedlich sein: a) ständig neue Produkte entwickeln oder b) reife Produktionen entlang der Hierarchie verlagern.

1. Phase: Anfangsentwicklung, d.h. frühe Anwendung nach der Erfindung schneller technischer Wandel, kleine Märkte, wenig Preiskonkurrenz;

2. Phase: Wachstum: Nachfrage steigt stark an, da die Preise relativ sinken und das Produkt in höheren Stückzahlen hergestellt wird;

3. Phase: Reife;

4. Phase: Rückgang;

5. Phase: Obsoleszenz, Veraltung.

Solche Produktzyklen können erheblich variieren:

- Viele Produkte kommen nicht über die Anfangsphase hinaus.

- Die Form der Kurve ist unterschiedlich, z.B. bezüglich der Dauer des Prozesses.

- Güter werden teils substituiert, teils kann der Lebenszyklus durch Weiterentwicklung des betreffenden Gutes verlängert werden (vgl. Folie).

- Tendenz in der Gegenwart: Zyklen werden immer kürzer!

Zusammenhang mit Konjunkturzyklen und langen Wellen:

Wirtschaftsentwicklung ist zusammengesetzt aus unzähligen solchen einzelnen Zyklen, diese Zyklen überlagern sich und treten raumzeitlich diskontinuierlich auf; deshalb können die vielen Einzelzyklen lange Wellen ausbilden. Die Produktzyklustheorie versucht damit, die Sequenz langer Wellen mikroökonomisch zu erklären.

Zusammenhang mit technologischem Wandel:

Technologischer Wandel erzeugt neue Produkte, d.h. neue Zyklen;

Technologie spielt in den einzelnen Phasen des Zyklus eine ganz unterschiedliche Rolle:

- frühe Phase: Technisches Wissen ist die entscheidende Ressource; F&E ist der Hauptstandortfaktor; mehr Produktinnovation als Prozessinnovation;

- Wachstumsphase: Management ist entscheidend; Prozess- statt Produktinnovation;

- Reifephase: wenig Innovation (allenfalls Prozessinnovationen zur Rationalisierung), hohe Preiskonkurrenz, standardisierte Produktion, hohe Kapitalintensität, wenig qualifizierte Arbeitskräfte

Kritik der Produktzyklus-Theorie (vgl. z.B. Grunert 1991): - Die Theorie wurde am Modell USA und dem wachsenden Auslandsengagement der US-TNCs in den 60er und 70er Jahren entwickelt. Heute sind die Prozesse komplexer; insbesondere kann die Theorie nur unzureichend erklären, warum der größte Teil der FDIs zwischen den Ländern der Triade stattfindet.

- Sie unterstellt gleichartigen Verlauf von Produkten, die jedoch oft nicht unabhängig voneinander sind; traditionelle Produkte können durch stetige ("inkrementale") Innovationen auch wieder "jung" werden, Beispiel: Autos;

- Ausklammerung bzw. Konstanthaltung von Prozesstechnologien und Prozessinnovationen;

- setzt unzulässigerweise voraus, dass der Innovationsprozess von der Nachfrageseite gesteuert wird ("Demand-pull-Hypothese").

- gewisser technologischer Determinismus und Überbetonung der Arbeitskosten.

Dennoch wichtiger Ansatz, da die Bedeutung von Produktinnovationen in der Wissenschaft zuvor meist vernachlässigt wurde und dadurch die Dynamik angemessener berücksichtigt wurde.

Anknüpfend an Vernon vgl. die Studie von Grunert 1991: Technologische Innovationen konzentrieren sich auf bestimmte, technologisch höher entwickelte Länder mit hohen F&E-Aufwendungen. Diese Ökonomien sind den anderen weit überlegen und erzielen Leistungsbilanzüberschüsse (Beispiele: Japan und Deutschland). Folge: Aufwertung der Währungen, so dass sich die Wettbewerbsposition wieder verschlechtert, während andererseits die schwächeren Länder ihre Position durch Abwertungen verbessern können. Wirkungen auf die Branchen sind selektiv: Aufwertung trifft insb. traditionelle Branchen, während innovative Branchen durch eine niedrigere Preiselastizität der Nachfrage gekennzeichnet sind ("temporäres Technologiemonopol") und die Verteuerung besser verkraften können. Dagegen geraten die traditionellen Branchen unter verschärfte Preiskonkurrenz. Dadurch verstärkt sich die internationale Arbeitsteilung im Sinne einer technologischen Hierarchie.

Fazit: Diese Theorie hat einen gewissen Erklärungswert; sie impliziert allerdings die Gefahr eines technologischen Determinismus! Tatsächlich ist die wirtschaftliche Entwicklung viel komplizierter und nicht nur eine Sequenz von technischen Zyklen!
 

Kapitel 07 Die Rolle transnationaler Unternehmen und neuere
theoretische Ansätze zur Erklärung der räumlichen
Struktur und Dynamik der Weltwirtschaft
 
 

Mit der Internationalisierung der Ökonomie sind unmittelbar verknüpft: überproportionaler Zuwachs der ausländischen Direktinvestitionen und Wachstum und Ausbreitung der TNCs.

Weltwirtschaftliche Bedeutung der TNCs

Ca. 20-25% der globalen Industrieproduktion entfalen auf TNCs. Ca. 10% aller Arbeitsplätze außerhalb der Subsistenzwirtschaft und außerhalb der Agrarwirtschaft entfallen auf TNCs. Ihr Anteil am Welthandel ist überdurchschnittlich und wächst überdurchschnittlich. Dabei ist ein wachsender Anteil des internationalen Handels Intra-Unternehmens-Handel. Für diesen Handel gelten nur sehr bedingt die klassischen Theorien, die zumeist davon ausgehen, dass Verkäufer und Käufer im freien Wettbewerb interagieren und unter solchen Marktbedingungen Preise und Mengen vereinbaren. Der unternehmensinterne Handel unterliegt (wenigstens teilweise) übergeordneten Unternehmensstrategien.

Umfang: USA und J: mindestens 50% des Außenhandels ist Intra-TNC-Trade; bei UK möglicherweise 80%!

Ein häufig zu enges Bild: sog. Multi, der global bis zum letzten Winkel Afrikas tätig ist. Dies ist eher die Ausnahme; vgl. Statistiken mit dem Anteil der ausländischen Beschäftigung bei TNCs. Die meisten TNCs haben eine starke nationale Basis. Grad der Internationalisierung ist extrem unterschiedlich.

Absolute Größe ist beeindruckend. Zitat Benson & Lloyd 1983: Von den 100 größten wirtschaftlichen Einheiten der Erde sind ca. 50 Nationalstaaten und 50 TNCs! D.h. die großen haben bezüglich Umsatz und Beschäftigung durchaus die Dimension ganzer Volkswirtschaften!

Makroanalytische ("strukturalistische") Theorieansätze

Theorie der "neuen internationalen Arbeitsteilung"

Fröbel, F, J. Heinrichs und O. Kreye (1977): Die neue internationale Arbeitsteilung. Strukturelle Arbeitslosigkeit in den Industrieländern und die Industrialisierung der Entwicklungsländer. Reinbek. (Engl. Übers.: The new international division of labour. Structural unemployment in industrialized countries and industrialisation in developing countries. London 1980.)

Theorie geht aus von der Beobachtung, dass drei Vorbedingungen erfüllt sind:

1. Entwicklung moderner Verkehrs- und Kommunikationstechnologien;

2. Entwicklung von Produktionstechnologie, die erlauben, den Produktionsprozess in einzelne Abschnitte zu zerlegen und dafür wenig qualifizierte Arbeitskräfte einzusetzen;

3. Das Aufkommen eines weltweiten Arbeitskräftepotentials.

Unter diesen Voraussetzungen: Kapitaltransfer von TNCs in die Länder der sog. Peripherie oder Semi-Peripherie, um die Kosten der Produktion zu senken und die Ertragssituation der zunehmend international agierenden Unternehmen zu erhalten bzw. zu verbessern.

Dabei wirken Pull-Faktoren:
- niedrige Arbeitskosten in EL;
- wenig regulierte Arbeitsverhältnisse;
- niedrige Umweltschutzauflagen;

aber auch Push-Faktoren:
- hohe Arbeitskosten in den IL;
- starke Stellung der Gewerkschaften, rigide Arbeitsbestimmungen;
- hohe Umweltschutzauflagen.

Kritik:

- Viel zu simplifizierend; Faktor Arbeit ist nicht allein entscheidend. Bei fortschreitender Automatisierung der Produktion nimmt der Anteil der Arbeitskosten tendenziell ab! So entfallen bei der hochmodernen Handy-Produktion des finnischen Konzerns Nokia in Bochum nur noch 5% der Gesamtkosten auf die Arbeitskosten.

- Empirisch nur teilweise bestätigt: Im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie partiell zutreffend, aber nicht alle EL sind Ziel von FDIs, da andere Faktoren teilweise wichtiger sind wie z.B. soziale und politische Stabilität. Vor allem: Der Löwenanteil der FDIs geht nicht in die EL, sondern in IL!

Theorien der flexiblen Spezialisierung und des Post-Fordismus

Neben den technologischen und Wachstums-Zyklen haben in den letzten Jahren zunehmend Analysen der Produktions- und Arbeits-Organisation Aufmerksamkeit gefunden.

Typologie von Entwicklungsphasen:

1. vorindustrielle Produktion: geringer Grad der Arbeitsteilung, kleinbetriebliche Organisation, geringer Maschineneinsatz;

2a. Einsatz von Maschinen und Dampfkraft für mechanische Prozesse in Fabriken; zunehmende Arbeitsteilung;

2b. F.W. Taylor begründete die Wissenschaft von den Arbeitsabläufen Ende des 19. Jh.; Ziel: Zerlegung von Arbeitsvorgängen in Elemente zur Rationalisierung; Anstieg der Arbeitsteilung;

2c. Einführung des Fließbandes durch H. Ford in 20er Jahren; dadurch: extreme Zerlegung der Arbeitsvorgänge; zentrale Organisation und Kontrolle des Produktionsprozesses; Massenproduktion: Nutzung der "scale economies"; standardisierte Produkte werden mit standardisierten Fertigungsverfahren in Großbetrieben hergestellt.

3. Seit ca. 1974/75: zunehmende Krise des sog. "Fordismus":

- Differenzierung der Märkte zu Lasten der Massengüter;

- mangelnde Flexibilität großbetrieblicher Organisationsformen mit hierarchischem Aufbau und großen Produktionsaggregaten ("Dinosaurier des Industriezeitalters");

- neue Formen der zwischenbetrieblichen Kooperation von KMUs; solche Netzwerke sind flexibler als Großbetriebe und können dadurch die mangelnden Größenvorteile überkompensieren;

- Einsatz der Mikroelektronik in der Produktion führt zur Flexibilisierung, d.h. traditionelle Fertigungslinien sind auf große Stückzahlen eingestellt; müssen für einzelne Produktionslose umgerüstet werden. Automatisierung der Produktion durch Computersteuerung kann besser auf differenzierte Kundenwünsche reagieren (z.B. Autos als Unikate);

- Moderne I+K-Technologien haben weitreichende Auswirkungen auf die räumliche Organisation der Produktion: Möglichkeit zur Standortaufteilung und -spaltung; Outsourcing von einzelnen Tätigkeiten (Folge: geringe Fertigungstiefe, Cluster von Unternehmensnetzwerken) zunehmende Auslagerung von Dienstleistungen (z.B. Externalisierung der Lohnbuchhaltung etc.) teilw. in Heimarbeit mit Computer-Online-Anschluss.

- Generell: Zerlegung und Differenzierung der "Dinosaurier" zugunsten von KMUs und Netzwerken, die aus KMUs oder aus KMUs um größere Kerne bestehen;

- Zunehmende zwischenbetriebliche, teilw. globale Arbeitsteilung dadurch zunehmende internationale, globale Konkurrenzsituation (Bsp.: Software aus Indien);

- Veränderung der gesellschaftlichen "Regulationsformen": Entmachtung der Gewerkschaften, gewandeltes Staatsverständnis (vom Wohlfahrtsstaat zum "Unternehmerstaat"), gewandelte Konsumstile usw.

Offene Fragen: - "Neo-Fordismus" oder = "Post-Fordismus"?

- Wie sieht die postindustrielle Produktionsorganisation aus?

- Welche "Geographie" hat die postindustrielle Produktionsorganisation?

Dies sind "strukturalistische" Ansätze, die direkt oder indirekt in der marxistisch-strukturalistischen Denktradition stehen. Eine Alternative zu einer solchen Betrachtungsweise der "Makroperspektive" ist der "mikroanalytische" (bzw. speziell: "mikroökonomische") Ansatz, der von den Zielen, Motiven und Handlungsstrategien der einzelnen Unternehmen ausgeht.

Mikroanalytische (mikroökonomische) Theorieansätze

Hymer, Stephen (1976): The international operations of national firms: A study of direct foreign investment. Cambridge, Mass.: MIT Press.

Unterscheidet zwei Typen von FDIs nach den wichtigsten Motiven:

1. Marktorientierte Investitionen = zur Erschließung, Sicherung und weiteren Durchdringung von Absatzmärkten; gilt sowohl für Produktion wie für Dienstleistungen.

2. Bezugs- oder kostenorientierte Investitionen:

a) Rohstofforientierung; = traditionelles Motiv der ersten TNCs, z.B. von UK in den Kolonien; gilt einerseits für spezielle Rohstoffe, deren Verfügbarkeit aus politischen Gründen kritisch ist, sowie für transportkostenintensive Rohstoffe (A. Weber!)

b) Produktionsverlagerung wg. Kostenvorteilen, z.B. Arbeitskosten; dies ist ein eher junges Phänomen.

Anderer Ansatz, vom Autor Dunning "eklektische Theorie" genannt, weil er sich auf verschiedene andere Theorien bezieht: Theorie der Unternehmung, Organisationstheorie, Handelstheorie, Standorttheorie usw. stützt und Elemente daraus zusammenführt. Dunning, John H. (1980): Towards an eclectic theory of international production: some empirical tests. In: Journal of Intern. Business Studies 11, S. 9-31. Dunning, John H. (1988): Explaining international production. London: Unwin Hyman.

Theorie: Ein Unternehmen engagiert sich in internationaler Produktion, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind (sog. "O-L-I Paradigma"):

1. Ein Unternehmen realisiert durch ein Auslandsengagement bestimmte Vorteile, die konkurrierende Unternehmen anderer Länder nicht besitzen. ("Ownership advantages")

Z.B.: Technisches Wissen, vorteilhafte Organisationsform, spezifische Qualifikationen der Arbeitskräfte. Dem stehen Anfangsnachteile eines Engagements im Ausland gegenüber: mangelnde Markterfahrung, mangelnde Kenntnis des sozialen und kulturellen Umfelds usw. Die spezifischen Vorteile müssen die Anfangsnachteile eines Engagements im Ausland überkompensieren!

2. Solche Vorteile (z.B. spezifisches Know-how) sollen von dem Unternehmen selbst genutzt, d.h. internalisiert werden und nicht z.B. verkauft werden. ("Internalization advantages")

Unter den Bedingungen eines vollkommenen Marktes (= übliche Annahme der neoklassischen Theorie) ist die Effizienz am höchsten, wenn sich die Unternehmen spezialisieren und Vorprodukte, Dienstleistungen etc. hinzukaufen (vertikale Disintegration). Da die Märkte in der Realität jedoch unvollkommen sind, spielt Unsicherheit eine große Rolle, so dass Unternehmen dazu tendieren, selbst die Kontrolle über die Preise, Verfügbarkeit, Qualität etc. ihrer Vorprodukte zu übernehmen, z.B. durch vertikale Integration. Diese Internalisierung ist besonders wichtig bei dem sensiblen Feld F+E, das selten gehandelt wird.

3. Es muss für das Unternehmen profitabler sein, statt im Inland im Ausland zu investieren, d.h. standortspezifischen Faktoren spielen eine wesentliche Rolle. ("Location advantages")

Dabei sind insbesondere wichtig:

a) Größe der Märkte (z.B. Folie Bruttonationalprodukt pro Kopf 1990). Mit unterschiedlicher Einkommenshöhe variiert die Nachfragestruktur: Einkommenselastizität der Nachfrage unterscheidet sich gravierende nach Gütertypen (sog. "Engelkurven").

b) Politische Dimension: rechtliche und wirtschaftspolitische Bedingungen; politisches Klima, soziokulturelles Klima. z.B. enge Verwandtschaft USA/Kanada/GB, dagegen verhältnismäßig große "kulturelle Distanz" zu Japan.

c) Räumliche Unterschiede der Produktionskosten: Relative Bedeutung der Poduktions- und Standortfaktoren variiert von Industrie zu Industrie, entsprechend dem Lebenszyklus.

"Standortkosten" = standortspezifische Sonderkosten; d.h.: wenn die Faktorkosten überall gleich sind, sind die Standortkosten gleich 0. Regionale Unterschiede werden vor allem bei den Arbeitskosten betont. Insb. nicht- und wenig qualifizierte Tätigkeiten bei "reifen" Produktionen. Allerdings sind nicht die "rohen" Lohnkosten pro Stunde entscheidend, sondern die sog. Lohnstückkosten, d.h. die Arbeitskosten pro Produktionseinheit (d.h. hier werden die Arbeitsproduktivität und die Arbeitszeiten mitberücksichtigt.)

Dabei wichtig: Unternehmensspezifische und standortspezifische Vorteile müssen nicht übereinstimmen, sie variieren auch über die Zeit hinweg. Ein Unternehmen ist möglicherweise entstanden und gewachsen in einem Land aufgrund von damals ganz anderen Standortvorteilen. Dadurch können heute gravierende Anpassungsprobleme entstehen mit zwei Alternativen: a) das Unternehmen passt sich an die neuen Standortvorteile an und verändert beispielsweise seine Produktpalette; b) das Unternehmen verlagert sich ganz oder teilweise in eine Region mit den "passenden" Standortvorteilen. Bsp.: Stahlunternehmen des Ruhrgebiets (Hinausdiversifizierung bzw. Engagement in ausländischen Stahlmärkten, weniger in D).

Zusammenhänge zwischen unternehmensspezifischen und standortspezifischen Vorteilen?

Vision eines globalisierenden Unternehmers: Als Produktionsstandort optimal wäre ein großes Schiff, mit dem man dort vor Anker gehen kann, wo die Löhne, Steuern und anderen Standortbedingungen optimal sind.

Vorzüge der Theorie von Dunning?

Sie "erklärt" die Entwicklung verschiedener TNC-Typen anstelle des traditionellen undifferenzierten Bildes eines High-Tech-Multi wie Bayer oder Siemens.

Andererseits Kritik: Sie ist überhaupt keine richtige "Theorie", sondern nur ein Katalog von Faktoren. Diese Kritik von "Strukturalisten" wie Peter Taylor und Nigel Thrift und anderen Sozialwissenschaftlern in der Denktradition der Politischen Ökonomie vorgebracht. In der Denktradition der "reinen" Ökonomie ist die Theorie von Dunning hingegen weit akzeptiert.

Typische Sequenz von TNC-Entwicklungen?

Sehr radikale Vereinfachung typischer Entwicklung:

Typische Stadien:
(I) nationales Unternehmen,
(II) Exportunternehmen,
(III) mit ausländischen Handelsniederlassungen (für Verkauf und Service),
(IV) Aufbau ausländischer Produktion.

Varianten: a) Lizenzproduktion;
b) Abkürzung der Sequenz.

Diese Sequenz entspricht im Großen und Ganzen der historischen Entwicklung nordamerikanischer und westeuropäischer TNCs. Auf neuere Entwicklungen ostasiatischer TNCs trifft sie allerdings nur noch bedingt zu (z.B. Überspringen von Stufen). Insofern Kritik: Diese einfache Sequenz beschreibt zwar, aber sie erklärt wenig.
 
 

Neuere, viel diskutierte Ansätze

Porter, Michael E. (1990): The competitive advantage of nations. London 1990. New York: Free Press. Dt. Übers.: Nationale Wettbewerbsvorteile. Erfolgreich konkurrieren auf dem Weltmarkt. München: Droemer Knaur 1991. 880 S.

Betont die entscheidende Rolle, die das jeweilige nationale Umfeld für den Wettbewerbserfolg von Unternehmen und Branchen spielt. Ausgangspunkt: Erklärung von Erfolg und Misserfolg von Volkswirtschaften; genauer: Warum wird ein Land in einem Industriezweig zum Stützpunkt für international erfolgreiche Unternehmen? Ausgangspunkt der Studie: Internationale Wettbewerbsfähigkeit betrifft immer nur bestimmte Branchen.

Argumente gegen die neoklassische Faktorproportionentheorie (Heckscher & Ohlin): 1. Die meisten Handelsverflechtungen existieren heute zwischen Industrieländern mit ähnlicher Faktorausstattung;

2. Korea hat nach dem Koreakrieg neue Industrien aufgebaut trotz Kapitalmangel.
3. Technologien und Güter sind international nicht identisch.
4. Faktormobilität.
Generell gilt: Unterschiede der Faktorkosten sind nur noch randlich bedeutsam (Bodenschätze, Energie), heute hingegen sind technologische Unterschiede viel wichtiger.

Bestimmungsfaktoren des nationalen Wettbewerbsvorteils:
1. Faktorbedingungen, insb. Faktorausstattung,
2. Nachfragebedingungen, insb. Inlandsnachfrage,
3. verwandte und unterstützende Branchen, z.B. effiziente Zuliefersysteme,
4. Unternehmensstrategie, Struktur und Konkurrenz (einheimer Unternehmen).

Dies sind die vier Seiten des Porterschen "Diamanten". Mit dieser Metapher ist gemeint, dass diese Faktoren sich gegenseitig bedingen; sie müssen alle vier gleichzeitig gegeben sein und zusammenwirken können ("vier Seiten einer Medaille"). Hinzu kommen zwei ergänzende Faktoren:

5. Rolle des historischen Zufalls (Entdeckungen, technologische Brüche, Krieg etc.),
6. Rolle des Staates (der durch seine Politik die vier Hauptfaktoren beeinflussen kann).

Zusammenwirken der Bestimmungsfaktoren; dadurch insb. Clusterbildung wettbewerbsfähiger Branchen. Behandelt ausführlich die Rolle der geographischen Konzentration sowie Entstehung und Niedergang wettbewerbsfähiger Cluster. Diese Prozesse der Clusterbildung werden durch Branchenstudien (deutsche Druckmaschinenindustrie, amerikanische Geräte zur Patientenüberwachung, italienische Keramikfliesen, japanische Roboterindustrie, Dienstleistungen) untermauert. Zitat S. 640: "Der Wettbewerbsvorteil eines Landes in Branchen ist oft geographisch konzentriert. Ich habe anhand vieler Beispiele dargelegt, dass international erfolgreiche Branchen und Branchencluster häufig in einer Stadt oder Region massiert sind, und die Grundlage für diesen Vorteil ist oft sehr lokal. Die geographische Konzentration ist für die Entstehung des Wettbewerbsvorteils wichtig und verstärkt die Kräfte, die den Vorteil aufwerten und bewahren."
 
 

Paul Krugman: "Neue Handelstheorie", "Neue Wirtschaftsgeographie"

Krugman, Paul (1991): Geography and trade. Leuven: Leuven Univ. Press. Krugman, Paul (1995): Development, geography and economic theory. Cambridge, Mass.: MIT Press. Ausgangspunkt: Klassische Theorie der komparativen Vorteile der Volkswirtschaften steht in offenkundigem Widerspruch zu der empirischen Beobachtung, dass der Löwenanteil des internationalen Handels nicht zwischen Ländern unterschiedlicher, sondern sehr ähnlicher Faktorausstattung (insb. Länder der Triade) abgewickelt wird.

Erklärungsansatz: Nicht die Faktorausstattung von ganzen Ländern ist entscheidend, sondern die Wettbewerbssituation von Unternehmen, da nicht Länder, sondern Unternehmen miteinander konkurrieren. Entscheidend sind Größenvorteile (scale economies) der Produktion und externe Ersparnisse (external economies) aufgrund von Agglomerationseffekten (agglomeration economies).

Solche Agglomerationen entstehen meist durch historische Zufälle; wenn sie einmal existieren, entfalten sie eine erhebliche historische Persistenz aufgrund der positiven externen Effekte, die von den dort ansässigen Unternehmen im Wettbewerb genutzt werden können. Regionale Entwicklungen sind deshalb "pfadabhängig" ("path dependency of regional development").

Drei Typen von Agglomerationsvorteilen lassen sich unterscheiden:
1) spezialisierter regionaler Arbeitsmarkt ("labour market pooling"),
2) spezialisierte Zulieferer von Vorprodukten und Dienstleistungen,
3) lokalisiertes regionales technisches Wissen.

Für die Lokalisation sind ferner die relativen Transportkosten bedeutsam: Wenn die relativen Transportkosten hoch sind, wird (meist) in der Nähe zu den Absatzmärkten produziert; wenn die relativen Transportkosten stark sinken, wird die Produktion footloose gegenüber den sog. Weber-Faktoren, und die Unternehmen tendieren zur Agglomeration, um die externen Effekte zu nutzen.

Dieser Ansatz verbindet Aspekte der Regionalökonomie mit der neuen Wachstumstheorie und der Außenhandelstheorie. Im Unterschied zur älteren regionalökonomischen und wirtschaftsgeographischen Theoriebildung bemüht sich Krugman um eine strenge, mathematisierte Modellbildung.

Kritik:

Aus der Sicht der Außenhandelstheorie ist der Ansatz insofern ein Fortschritt, als von der simplifizierenden Annahme von Volkswirtschaften im Sinne von "Punkt-Ökonomien" abgegangen und die räumliche Dimension differenziert wird. Allerdings bleiben die konkreten Aussagen noch ziemlich allgemein und praxisfern.

Aus der Sicht der Regionalökonomie und Wirtschaftsgeographie wird registriert, dass Krugman ziemlich antiquierte Erklärungsansätze (Transportkosten, Skalenerträge, Agglomerationsvorteile usw.) bemüht, deren Erklärungsgehalt vielfach skeptisch bewertet wird.

Dennoch bleiben zwei positive Aspekte: 1) strenge Theorie- und Modellbildung, 2) Konvergenz von bisher getrennten Argumentationssträngen.
 

Kapitel 08 Sektorale Betrachtung:
Agrarwirtschaft - Beispiel: Bananen

Literatur:

Nuhn, Helmut: Bananenerzeugung für den Weltmarkt und die EG-Agrarpolitik. In: Geogr. Runsch. 46, 1994, S. 80-87.

Nuhn, Helmut: Neue Entwicklungen im EU-Bananenkonflikt. In: Geogr. Rundsch. 47, 1995, S. 197-199.

Beispiel für ein weltwirtschaftlich bedeutendes Agrarprodukt; wichtigste Einflussfaktoren: natürliche Wuchsbedingungen, politische Marktregulierungen, TNC-Strategien.

Weltjahresproduktion ca. 48 Mio t, damit nach Weintraube und Orange die wichtigste Obstart. In vielen tropischen Ländern Volksnahrungsmittel. Exporte: global 10,3 Mio t, damit doppelt so hoch wie bei Orangen und dreimal so hoch wie bei Äpfeln.

Produktionsvoraussetzungen: Banane = Staudenpflanze, die lockeren, tiefgründigen, nährstoffreichen Boden liebt, gleichmäßige Temperaturen von ca. 26-30o sowie gleichmäßig hohe Niederschläge von ca. monatlich 160-180 mm liebt. Sie gedeiht insofern am besten in den immer- und wechselfeuchten Tropen. Bestimmte Sorten gedeihen auch in den Subtropen, doch mit geringeren Erträgen.

Produktion: kontinuierlich gestiegen, Länder fast ausschließlich EL und in Tropen gelegen. 1991: Indien 6,4 Mio t, Brasilien 5,6 Mio t, Philippinen 3,5 Mio t, Ecuador 3,0 Mio t, Indonesien 2,4 Mio t, China 2,1 Mio t, Mexiko 1,9 Mio t.

Reihenfolge der Länder beim Export völlig anders: Ecuador 2,2 Mio t, Costa Rica 1,4 Mio t, Kolumbien 1,2 Mio t, Honduras und Panama sowie Philippinen mit je 0,8 Mio t. Hier werden jeweils ca. 65-90% der Produktion exportiert.

Hauptimporteure: USA 3,2 Mio t, D 1,2 Mio t, Japan 0,8 Mio t!

Pro-Kopf-Verbrauch: USA 11,1 kg, in D 12 kg (nach der deutschen Einigung Anstieg auf 16 kg, da in Ostdeutschland der Konsum vorübergehend auf 22 kg anstieg).

"Produktionskette"

(vgl. Abb. 2 mit Darstellung der Stufen vom Anbau bis Konsum)

Anbau: sowohl in Plantagen transationaler Fruchtgesellschaften als auch in bäuerlichen Privatbetrieben und Produktionsgenossenschaften; Bsp. Costa Rica: 1990 61% der Anbaufläche Plantagen, 39% Kontraktanbau; ca. 70% des Exports entfallen auf TNCs.

Anbau erfordert Kapital, Know-how und Zugang zu Vermarktungskanälen; wegen der leichten Verderblichkeit der Frucht müssen alle Stufen der Produktionskette exakt aufeinander abgestimmt sein; deshalb schon früh, d.h. teilweise vor dem Zweiten Weltkrieg Engagement von US-TNCs (z.B. United Fruit Co.)

Plantagenanbau: Betriebseinheiten von ca. 200-300 ha mit jeweils einer Arbeitersiedlung; dort auch Aufbereitung für den Export: Packstation zur Zerlegung der Fruchtstände, Waschen und Verpackung in Kartons.

Transport zum Exporthafen, dort Verladung auf Kühlschiffe;

Importhäfen in D: Hamburg 650.000 t, Bremen 605.000 t, Rostock 125.000 t. Dort sind teilweise eigene Importfirmen tätig.

Starke Konzentration des Welt-Bananenmarktes auf wenige TNCs (hier passender: Multinationale Unternehmen): ca. 2/3 des Weltbananenmarktes ist in den Händen der drei größten TNCs! In D: Marktführer sind Chiquita (ehem. United Fruit) und Dole Food (ehem. Standard Fruit Co.) mit bestimmten Handelsmarken. In D entfallen 90% der Importe auf 7 Importeure.

Vertrieb der Bananen in D: nicht über TNCs, sondern über "Reifereien" mit Kühlhäusern, z.B. "Atlanta" in Bremen mit 40% Marktanteil, ferner COBANA (Bananeneinkaufsgesellschaft von 50 mittelständischen Fruchthandelsgesellschaften) und EDEKA-Fruchtkontor.

Steuerung des Produktionssystems

Schon früh Bildung von vertikalen und horizontalen Konzernen; wirtschaftsgeschichtlich interessant: 1899 schon Gründung des Bananenmultis "United Fruit Company" mit marktbeherrschender Stellung in Nord- und Mittelamerika.

In 60er Jahren jedoch zwei gegenläufige Prozesse: Antimonopolgesetzgebung in USA und politische Maßnahmen in Erzeugerländern, teils Enteignung, teils Förderung eigener Erzeuger- und Absatzorganisationen. Nach großen Verlusten in Kuba wurde United Fruit von "United Brands" (Chiquita) in 70er Jahren übernommen. Die politischen Maßnahmen der Erzeugerländer waren nur teilweise erfolgreich; die Marktmacht der Fruchtgesellschaften blieb insgesamt jedoch erhalten.

Auch in Importländern erhebliche Marktregulierungen (vor EU-Marktordnung)

Nach Einführung des europ. Binnenmarktes Homogenisierung der EU-Marktordnung durch Mehrheitsbeschluss gegen D; neue EU-Marktordnung seit 1993 in Kraft.

Markt"ordnung" der EU: erwarteter Konsum 3,7 Mio t, davon sollen 1,7 Mio t auf EU- und AKP-Produzenten entfallen. Diese lieferten aber 1992 nur 1,3 Mio t, so dass diese klar bevorzugt wurden bzw. durch die entstehende Verknappung die Preise stiegen. Andererseits: 2 Mio t aus "sonstigen Ländern", d.h. insbesondere aus sog. Dollar-Bananen-Ländern sind ca. 40000-50000 t weniger als 1992.

Dollar-Bananen-Länder (Costa Rica, Kolumbien, Venezuela, Nicaragua, Guatemala) protestierten bei der EU (erfolglos) und erwirkten beim GATT einen Untersuchungsaus-schuss. Dieser bestätigte in wesentlichen Punkten die Position der Antragsteller: EU-Marktordnung verstößt gegen GATT-Grundsätze des Freihandels und der Gleichbehandlung; EU wird aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. Daraufhin hat die EG-Kommission das Kontingent für Dollar-Bananen durch einen entsprechenden Passus in der Marrakesch-Schlussakte der letzten GATT-Runde von 1994 kurzfristig erhöht. (Dabei allerdings bestimmte Länder Mittelamerikas, insb. Costa Rica und Kolumbien, mit Quoten bevorzugt und damit neue Konflikte, speziell zwischen den amerikanischen Erzeugerländern, geschaffen.)

Weitere Akte im Drama um EU-Bananen-Marktordnung:

Bisherige Wirkungen der EU-Marktordnung: Perspektive: Brüssel wird den Schiedspruch der WTO umsetzen müssen. EU-Kommission erhöhte 1998 die Kontingente der Dollar-Bananen beträchtlich (von ca. 68 auf 85% Marktanteil); dennoch klagten die USA beim WTO-Schiedsgericht gegen die Ordnung. Problem: Frankreich möchte Vorteile der AKP-Länder retten; Spanien möchte EU-Anbau (Kanaren) retten; Nordländer (insb. D) eher für freien Markt.
 

Kapitel 09 Sektorale Betrachtung:

Beispiel Textil- und Bekleidungsindustrie

Besondere Bedeutung der Textil- und Bekleidungsindustrie (TBI):

Produktionssystem bzw. Wertschöpfungskette ("textile Pipeline") der TBI: Globales Muster und Verlagerungen im Standortsystem der Textilindustrie:

Fig. 9.3: größte Produzenten: China, Indien, Russland, USA, Indonesien; d.h. vor allem Länder mit großen Binnenmärkten. Zeitliche Entwicklung: Entwicklungs- und Schwellenländer mit Wachstum, Industrieländer mit Stagnation bzw. Rückgang.

Die Handelsbeziehungen zeigen ein ganz anderes Bild (Table 9.2): größte Exportnationen: Deutschland, China, Italien, Korea, Taiwan, Belgien, Frankreich!

Anteile zeigen starke zeitliche Fluktuationen;

zwei Ländergruppen: a) alte Industrieländer Europas, b) Ostasien;

Table 9.3 zeigt die Handelsbilanzen der wichtigsten Handelsnationen mit Textilien (d.h. ohne Bekleidung); größte Exportüberschüsse in Taiwan, Korea, Italien, Pakistan, Belgien!

D.h.: Große Länder wie China, Indien und Russland produzieren fast nur für den großen Binnenmarkt. Dagegen stehen den bedeutenden Exporten der Industrieländer häufig bedeutende Importe gegenüber, so dass die Bilanzen ausgeglichener sind.

Fig. 9.5: Handelsverflechtungen der Triade:
USA: bedeutender Textilimporteur, insb. aus Asien;
EU: bedeutender Textilimporteur, insb. aus Asien; aber auch bedeutender Textilexpor teur, insb. ins östliche Europa und nach Afrika (zur Weiterverarbeitung);

Japan: relativ ausgeglichen: bedeutende Im- und Exportverflechtungen mit Asien.

Insg.: In der Textilindustrie beherrschen zwei Gruppen den Welthandel: a) Industrieländer und b) Schwellen- und Entwicklungsländer Ostasiens.

Bekleidungsindustrie:

Fig. 9.6: Absolute Bedeutung der Bekleidungsindustrie, gemessen an der Zahl der Beschäftigten: VR China mit Abstand, dann USA, Russland, Japan, Indonesien, Brasilien. Hongkong und Südkorea haben mehr Beschäftigte als Deutschland, Italien oder Frankreich.

In den letzten Jahrzehnten haben tiefgreifende Verschiebungen stattgefunden: In den Industrieländern stagniert die Beschäftigung/Produktion bzw. geht zurück (z.B. in D in den letzten 20 Jahren um ca. 50%). Dagegen Wachstum: in einigen EL Asiens und Lateinamerikas sowie auch in den Transformationsländern Ostmitteleuropas und Osteuropas.

Bekleidungsindustrie-Exportländer? vgl. Table 9.5:

15 größte Exportländer vereinigen 66 % der Weltexporte auf sich (zum Vergleich: 76 % bei den Textilexporten).

Erkennbar sind gewisse Zusammenhänge mit den Textil-Exportnationen, aber auch einige interessante Verschiebungen: China führt (zusammen mit Hongkong) mit weitem Abstand, gefolgt von Italien, Deutschland, USA, Türkei, Frankreich und Korea. Hochindustrieländer wie I, D, F und UK (Ausnahme: USA!) verlieren Anteile oder sind inzwischen unbedeutend (wie Japan!). Hingegen rücken Schwellenländer in den Vordergrund: Hinter China/Hongkong insb. Türkei, Thailand, Indien, Portugal, Indonesien! Ausnahmen: Tigerländer Korea und Taiwan mit stark abnehmenden Bekleidungsexporten.

Handelsbilanzen vgl. Table 9.6:

Alle europ. Länder (außer Italien!) haben hohe Defizite; das größte Defizit haben die USA; hingegen haben die Entwicklungs- und Schwellenländer Exportüberschüsse.

Damit bei vielen Ländern Kontrast zum globalen Standortmuster der Textilindustrie:
z.B. Deutschland: Exportüberschuss von Textilien, Importüberschuss von Bekleidung;
umgekehrt Hongkong: Importüberschuss von Textilien, Exportüberschuss von Bekleidung.

Aber auch gleichgerichtete Muster:
Exportüberschüsse bei Textilien und Bekleidung: Italien, Korea, Taiwan;

Importüberschüsse bei Textilien und Bekleidung: USA, Kanada, Großbritannien, Japan.

Fig. 9.8: Handelsmuster der Triade bei Bekleidung:

Alle Triadenländer haben hohe Importüberschüsse, insb. aus "Asien"; darüber hinaus: USA aus Lateinamerika, EU aus Osteuropa und Afrika; Japan aus China. D.h.: Neben der globalen Verflechtung spielen "regionale" Beziehungen eine wichtige Rolle. Der Grund: liegt aber weniger in den distanzabhängigen Transportkosten, sondern vor allem in Unternehmensstrategien und politischen Einflüsse.

Table 9.2: Zusammenfassende Sequenz von Entwicklungsstufen der TBI.

Deutlich werden Zusammenhänge zwischen Produktionstyp, Handelsmerkmalen und Ländern.

Anmerkung: Dies ist eine nützliche Typologie; Basis: IL-Erfahrungen; jedoch kaum prognostischer Wert! Situation z.B. in D komplizierter (Textilexporte, Lohnfertigung in ehem. RGW-Ländern)

Nachfrage als Faktor der Restrukturierung:

Bedeutung der Nachfrage gerade in diesem Sektor leuchtet wohl jedem ein, da Bekleidung für Endverbrauch produziert wird.

Wovon abhängig? Primär von den Einkommen. D.h.: IL mit hohen Einkommen sind die entscheidenden Absatzmärkte in globaler Sicht. Allerdings steigt mit steigenden Einkommen die Nachfrage nach Bekleidung leicht unterdurchschnittlich, d.h. die Einkommenselastizität der Bekleidungsnachfrage liegt unter 1.

Besonders wichtig für die Stimulierung und Differenzierung der Nachfrage: Mode. Mode ist natürlich kein "natürliches", "urwüchsiges" Phänomen, sondern ein Produkt des Marketings.

Grundproblem des Bekleidungsmarktes: Bekleidung ist ein lebensnotwendiges Gut; zur elementaren Bedarfsdeckung genügt es i.d.R., sich jährlich 1 Hose und 1 Hemd zu kaufen, nämlich dann, wenn die alte Bekleidung durchgescheuert ist. D.h. Elastizität nahe 0 und damit Alptraum der Hersteller und Anbieter.

Lösung dieses Grundproblems durch Marketingstrategien?

        a.)    rascher Modewechsel, möglichst jährlich im Produktionsrhythmus,

        b.)    Globalisierung der Modetrends, d.h. Verschwinden nationaler bzw. kontinentaler Moden, z.B. durch Film und Fernsehen;
        c.)    Qualitäts- und Preissegmentierung: Etablierung von "Designermarken", die zumindest den Eindruck von Luxusgut erzeugen.


Folgen:

Rolle des Handels wichtig wegen der Marktmacht, da ein großer Teil des Bekleidungsumsatzes in den IL auf große Warenhaus- und Textilkaufhausunternehmen entfällt:

z.B. USA: Sears, K-Mart, Penney, Wal-Mart,
Japan: Daiei, Mitsukoshi, Daimaru, Ito Yokado;
D: Karstadt, Kaufhof, Quelle/Sinn, P & C;
international: C & A (NL), H & M (Schweden)

Dieser Oligopolisierung der Bekleidungsanbieter steht jedoch seit den 80er Jahren eine zunehmende Differenzierung der Märkte und Modeströmungen gegenüber; damit einher gehen zwei Einzelhandeltrends:

Charakteristisch: Anbieter sind erfolgreich, wenn sie a) Marktnischen finden und b) sehr flexibel auf modebedingte Nachfrageschwankungen reagieren können. Die Wertschöpfungskette erweist sich damit (wenigstens im Abschnitt "Bekleidung") als eine typisch "buyer driven chain".

Produktionskosten als Faktor der Restrukturierung

Wie aus Fig.9.9 hervorgeht, besitzen die Produktionsfaktoren auf den einzelnen Stufen der textilen Wertschöpfungskette eine ganz unterschiedliche Bedeutung. Solange die Textil- und Bekleidungsindustrie im Wesentlichen in geschlossenen Nationalökonomien organisiert war, führten diese Unterschiede nur zu intranationalen regionalen Standortdifferenzierungen (Bekleidungsindustrie insb. in peripheren Regionen lokalisiert). Heute resultieren daraus globale Standortdifferenzierungen entsprechend den spezifischen Faktorausstattungen der Länder.

Wichtigster Einzelfaktor: Unterschiede der Arbeitskosten (Fig.9.10):

Arbeitskostenvorteil ist entscheidend bei der Produktion von Massen- und Vorratsware (staple goods), sowohl Textil als auch Bekleidung. Diese sind in entfernten EL lokalisiert.

Dagegen kurzlebige Marken- und Modewaren: Lokalisation in IL und nahen Niedriglohnländern (Portugal, Türkei, ehem. RGW-Länder). Dabei spielen reine Transportkosten eine gewisse Rolle (hohe Flugfrachtraten!), mind. ebenso wichtig sind jedoch die ebenfalls von der Distanz abhängigen Faktoren der Marktanpassungsgeschwindigkeit und der Zuverlässigkeit der Lieferung, um z.B. während einer laufenden Saison auf plötzliche Trends reagieren zu können.

Technologischer Wandel als Faktor der Restrukturierung

Vor allem in den Hochlohnländern versuchen die Unternehmen, Lohnkosten einzusparen. Insb. zwei Arten des technischen Wandels: a) Ersatz der Handarbeit durch Mechanisierung und Automatisierung, b) Prozessinnovationen zur Beschleunigung der Produktion.

Beide Innovationstypen sind in der Textilindustrie wichtiger als in der Bekleidungsindustrie. Sowohl in der Spinnerei als auch in der Weberei wurden in den letzten 1-2 Jahrzehnten weitreichende Prozessinnovationen eingeführt: Open-End-Spinnmaschine und sog. schützenlose Webmaschine. Diese Prozessinnovationen führten zwar nicht zu einer grundsätzlichen Restrukturierung, aber zu einem starken Anstieg der Arbeitsproduktivität (und Beschäftigungsabbau).

Prozessinnovationen in der Bekleidungsindustrie waren viel geringer; ca. 80% der Arbeitskosten entfallen auf Nähen und Zusammensetzen, d.h. hier hat die Automatisierung bisher nur zu geringem Produktivitätsfortschritt geführt (im Gegensatz zu den vor- und nachgelagerten Stufen wie Zuschneiden, Lagerverwaltung etc.)

Innovationen in der Bekleidungsindustrie sind bisher vor allem zur Flexibilisierung der Produktion und zur Beschleunigung des Waren- (und Kapital-)Umlaufs entwickelt und eingesetzt worden.

Beispiel Benetton: Die norditalienische Zentrale ist per Computer direkt mit allen Benetton-Filialen in der ganzen Welt verknüpft. Dort ist das EPOS (electronic point-of-sale)-System installiert, so dass die Zentrale unmittelbar über Nachfragetrends informiert ist und ihrerseits die im Lohnauftrag gefertigte Produktion (sog. Lohnveredlung) ohne Time lag steuern kann.

Flexibilisierung ist auch eine wesentliche Strategie zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Textilindustrie in den Hochlohnländern. Z.B. hat sich die Strategie der Betriebskonzentration zur Erzielung von Skalenerträgen als Fehlschlag erwiesen; siehe den Zusammenbruch der van Delden-Gruppe in Gronau! Hingegen haben viele KMUs ihre Marktposition halten können, indem sie hochspezialisierte Garne, Stoffe und andere Textilien sowie spezielle Oberbekleidung anbieten, die hochflexibel auf Nachfrageschwankungen ausgerichtet sind.

Politik als Faktor der Restrukturierung

Textil und Bekleidung haben nicht nur in der historischen Industrialisierung der IL eine wichtige Rolle gespielt, sondern sind auch heute für die Industriepolitik vieler EL von schlüsselhafter Bedeutung.

EL: - importsubstituierende Strategie des Aufbaus;

- exportorientierte Strategie zur Nutzung des komparativen Arbeitskostenvorteils.

IL: - verschärfter internationaler Wettbewerbsdruck mit Reaktion:

- Rationalisierung der bestehenden TBI;

- Handelsbeschränkungen zum Schutz vor "ruinöser Konkurrenz".

Übliche Politik in IL (im wesentlichen außer USA und D): staatliche Beihilfen zur Restrukturierung, Modernisierung und zum "geordneten" Kapazitätsabbau, z.B. I, UK, F, NL ("freiwillige Euthanasie"); seit 70er Jahren auch J, wo ein geordneter Rückzug und eine Umorientierung auf gehobene Marktsegmente seit den 70er Jahren vom MITI begleitet bzw. gesteuert wird! Inzwischen ähnlich in Südkorea und Taiwan.

Alternative IL-Politik (insb. USA und D): Förderung der Offshore-Lohnveredlung, begleitet durch bilaterale Handelsabkommen (Besteuerung beschränkt auf Mehrwert).

Internationaler Handel war traditionell stark reguliert durch internationale Handelsabkommen.

Ursprung in 50er Jahren, als Niedrigpreisimporte insb. aus Japan (!) und Hongkong insb. auf die Märkte in den USA und GB drückten.

Beurteilung des WFA schwanken zwischen "intelligentem Liberalismus" und "Hydra des Protektionismus". Schätzung: WFA blockiert ein Exportpotenzial von ca. 11 Mrd $ bei den EL. Tatsache: Weltmarkt für Textil und Bekleidung ist weitgehend reguliert und weit entfernt von den idealisierten Annahmen der klassischen Außenhandelstheorie. Im Übrigen gibt es zahlreiche bilaterale Abkommen neben dem MFA, z.B. mit der VR China, die bisher nicht WTO-Mitglied ist.

Zusammenspiel der Faktoren und Unternehmensstrategien

Komplexes Zusammenwirken der Faktoren führt zu einer fragmentierten Struktur und einigen Besonderheiten im Vergleich zu anderen Industriezweigen (desh. Skepsis gegen generelle Theorien wie z.B. "Theorie neue internationale Arbeitsteilung" von Fröbel u.a.):

    (1)    Unternehmenskonzentration ist weniger weit vorangeschritten; global operierende TNCs spielen eine geringere Rolle (in der Textilindustrie mehr als in der Bekleidungsindustrie). Teilweise überwiegen Prozesse, die zu einem relativ größeren Erfolg von KMUs führen (flexible Netzwerke von KMUs nach dem Vorbild des Dritten Italien; z.B. Seidenindustrie von Como, Wollindustrie von Prato).

 
    (2)    In der TBI ist der klassische Prozess der TNC-Expansion durch FDIs eher untypisch. Am ehesten ist er in der hochrationalisierten Faserproduktion zu beobachten. Typisch sind vielmehr differenzierte Formen von Subcontracting, Lohnfertigung und anderen Kooperationsformen unterschiedlicher Festigkeit zwischen Unternehmen in anderen Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten ("offshore processing").
    Beginn insb. in 60er Jahren:
    (a) Japanische sogo shosha bauen ein Netz von fest verbundenen, d.h. durch Verträge oder auch Kapitalverflechtungen, Subunternehmen in Ost- und Südostasien auf (als Reaktion auf das LTA 1962 und auf gestiegene Arbeitskosten in Japan); z.B. waren die 9 führenden sogo shosha 1980 in 150 Textilunternehmen in Ost- und Südost-Asien engagiert.

    (b) Seit den 60er Jahren setzt sich das Subcontracting insbesondere in der Bekleidungsindustrie durch; führend wieder die japanischen sogo shosha, aber auch die US-amerikanischen und die deutschen Unternehmen.

    (3)    In der TBI neue, hochdifferenzierte Formen der räumlichen Arbeitsteilung: dispositive Funktionen einschl. Design und Vermarktung in IL, textile Vorprodukte aus EL, Nähen und Zusammensetzen von Bekleidung möglicherweise in anderem EL.
     

    Dabei bilden sich klare regionale Muster aus:
    J mit SE-Asien (Philippinen, Malaysia, Thailand),
    USA mit Karibik,
    D mit der süd- und osteurop. Peripherie und Nordafrika. Gewisse Ausnahme: Italien; dort lange fast ausschließlich inländische Produktion, zunehmend auch in Slowenien, Kroatien, Malta etc.

    (4)    Daneben bildet sich in der Bekleidungsindustrie ein globales sourcing pattern heraus, das entlang einer Preis/Mode-Dimension strukturiert ist (vgl. Table 9.7): Da die Wertschöpfungskette buyer driven ist, spielen im Hochpreissegment globale Markenfilialisten wie Armani und Boss eine große Rolle; nur sie lassen noch in den IL produzieren; dann mehrere Zwischenstufen bis zur anonymen Massenware, die aus den EL mit den niedrigsten Löhnen kommt.
 
    (5)    In fast allen IL hohe Beschäftigungsrückgänge, z.B. 1963-1987: GB –780.000, D –564.000, F –520.000, USA –500.000. Ursachen: zunehmende Konkurrenz durch Länder mit niedrigen Arbeitskosten, aber auch hohe Produktivitätssteigerungen durch Prozessinnovationen (typisch für "reife" Industrien).
    Die Beschäftigung sank in der westdeutschen Bekleidungsindustrie von 400.000 (1966) auf 95.000 (1995).
Textil- und Bekleidungsindustrie ist häufig regional konzentriert; in D z.B. im Westmünsterland, im Rheinland, im südl. Württemberg, in Oberfranken sowie in Sachsen. Beschäftigungsverluste sind dort konzentriert und regionalpolitisch besonders akut. Im Vergleich zu anderen Industriezweigen lagen die Löhne in der TBI traditionell am unteren Ende der Lohnskala, d.h. Faktor Arbeit war traditionell der maßgebliche Standortfaktor. Durch die Erhöhung und Angleichung der Arbeitslöhne kam die TBI speziell in Europa unter Druck. USA erlauben demgegenüber eine breitere Spreizung der Löhne; dadurch teilweise Erhaltung von niedrig entlohnten Arbeitsplätzen insb. in großen Städten insb. für Immigranten. = sog. "sweatshops". Kehrseite: große Disparitäten innerhalb der Metropolen.
 

Kapitel 10: Sektorale Betrachtung III: Automobilindustrie

  Einige charakteristische Merkmale der Automobilindustrie: Automobile Produktionskette (Wertschöpfungskette): Fig. 10.1:

Automobilindustrie ist im Kern eine "assembly industry" (Montageindustrie), d.h. ein System von Komponentenfertigungen und Montagen bis zur Endmontage.

Große Zahl von (zumeist in selbständigen Unternehmen gefertigten) Teilen, z.B. Instrumente, Vergaser, Bremsen, Lenker, Räder, Reifen, Sitze, Windschutzscheiben, Auspuff usw. (neuere Teile meist engl.: z.B. Airbag).

Große Komponenten: Karosserie (Pressen von Karosserieblechen, Montage und Lackierung); Motoren und Getriebe (Schmieden und Gießen von Teilen sowie Montage von Motoren und Getrieben).

Eigentliche Automobilwerke: im Wesentlichen nur Endmontage, d.h. geringe sog. Fertigungstiefe.

Räumliches Muster der Weltautomobilproduktion: Fig. 10.2: drei große Blöcke: EU, USA, J (d.h. Triade ca. 80-90%), in EL meist nur reine Montagewerke ohne Teilefertigung.

Diese Arbeitsteilung lässt sich als Entwicklungssequenz deuten:

1) Import von komplett montierten Autos Entwicklungsländer
= completely built-up (CBU) vehicles

2) Montagewerk, aber Import sämtlicher Teile Entwicklungsländer
= completely knocked-down (CKD) vehicles

3) Montagewerk von CKD, aber beträchtlicher ‚local content‘ Schwellenländer
teilweise Export der CBU-Autos

4) Komplette Produktion von CBU-Autos, mit Export Industrieländer
 
 

Entwicklung 1960-1989-1995: Table 10.1:

- noch 1960: 95% der Produktion in Nordamerika (54%!) und EU (41%)

- 1989: Nordamerika 22%, EU 39%, Japan/Korea 28%

- 1995: Nordamerika 21%, EU 36%, Japan/Korea 26%

- innerhalb EU: Niedergang von GB, Wachstum insb. von Spanien.

- Zunehmende Produktionsanteile einzelner Entwicklungsländer (Korea, Taiwan, Brasilien, Mexiko) Handel: Table 10.2: Etwas näher betrachten: J-Exporte (Fig. 10.4):

- weitaus wichtigste Exportmärkte: USA und EU; 1994: Exporte nach Nordamerika 40 Mrd $! westl. Europa 14 Mrd $,

- daneben spielen die wachsenden Märkte der ost- und südostasiatischen Schwellenländer eine traditionell wichtige Rolle. 1994 18 Mrd $.

- EL fast bedeutungslos, da entweder zu kleine oder geschützte Märkte.

Die Marktdurchdringung durch japanische Anbieter erfolgte früh in Australien (Umorientierung von UK nach Ostasien!), ferner in EU zuerst in kleineren Ländern wie B, NL (noch stärker in nicht automobilproduzierende Länder wie CH, N!), dann auch D und UK; besonders krasse Marktzugangsbeschränkungen in F und I. Inzwischen auf EU insgesamt ausgedehnt und liberalisiert ('freiwillige Exportbeschränkungen').

Einflussfaktor Nachfrage

Autoindustrie ist traditionell marktorientiert; sie entwickelte sich insbesondere dort, wo sich früh die größten Märkte entwickelt hatten (Faktoren Marktnähe und Skalenerträge durch fordistische Massenproduktion), d.h. in den 3 großen Märkten Nordamerika, Westeuropa und Japan.

Nachfrageentwicklung stark konjunkturabhängig; starke Rückgänge 1982/84 und 1990/92, Wachstum 1985/88 und 1995/97; allerdings regional unterschiedlich: in EU, Nordamerika und J eher saturierte Märkte, Wachstum in ostasiatischen NICs.

Diese Märkte unterscheiden sich strukturell: Märkte mit wachsender Privatmotorisierung (hoher Anteil Neukauf) stehen saturierte Märkte (mit ca. 80-90% Ersatzkauf) gegenüber. Typische Merkmale von saturierten Märkten: Bei einer Rezession wird der Ersatzkauf hinausgezögert, so dass die Gebrauchtwagenpreise stabil bleiben, jedoch der Neuwagenverkauf zyklisch stark schwankt. In saturierten Märkten versuchen die Anbieter, über aktive Modellpolitik die Nachfrage zu stimulieren (oft nur marginale optische Änderungen, ähnlich wie in der Bekleidungsindustrie).

Unterschiedliche Nachfragemuster:

Einerseits: Trend zur Homogenisierung traditioneller nationaler Unterschiede (große, technisch anspruchslose, aber komfortable und benzinfressende Pkws in Nordamerika; kleine, technisch hochgerüstete, schnelle, benzinsparende Pkws in EU und J); dadurch und als Folge des Benzinpreisschocks geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-Pkws, auch geringe Flexibilität der US-Autoindustrie; heute hat sich der Unterschied aber abgeschwächt.

Andererseits: Segmentierung der Märkte in unterschiedliche Typen: neben traditioneller Reiselimousine: Kombis, Vans, Kleinbusse und 4WD-Jeeps als Freizeitautos, City-Cars als Zweit- bzw. Einsteigerauto usw.

D.h.: weniger räumliche Differenzierung der Nachfragemuster, sondern global einheitliche Differenzierung nach Fahrzeugtypen.

Z.Zt. diskutiert:

a) Trend zum Gebrauchsgegenstand; Auto muss vielseitig, praktisch, sparsam, reparaturunanfällig, preiswert sein;

b) andererseits auch: Auto ist "zweite Kleidung" und Statussymbol, muss chic, sportlich und/oder seriös sein (Preis sekundär). Wahrscheinlich: beide Trends teilweise richtig, und Automarkt wird segmentiert.

Faktor technischer Wandel und Produktionsorganisation

Seit Henry Ford 1913 erstmals das Fließband zur Montage einführte, galt die Autoindustrie bis in die 70er Jahre als Paradebeispiel für industrielle Massenproduktion. Logik: extreme Zerlegung der Arbeit in einzelne Handgriffe ("Taylorisierung"), Produktion großer Stückzahlen in Großbetrieben zur Ausnutzung von Skalenerträgen/Größenvorteilen (scale economies). Diese Strategie führte zu einer wesentlichen Verbilligung, und parallel zum Wachstum der Masseneinkommen entstand die Massennachfrage nach den durch Massenproduktion erzeugten Autos.

Nachteile:

- hohe Rigidität (mangelnde Flexibilität). Kostenvorteile nur bei hohen Stückzahlen eines Modells, desh. nur seltener Modellwechsel.

- Arbeiter am Fließband ist nur ein "Rädchen im Getriebe" ohne Verantwortungsbewusstsein für größere Zusammenhänge.

Seit 70er Jahren zuerst von Toyota in J eingeführt: "lean production" ("schlanke Produktion", "Toyotismus") mit folgenden Zielen/Effekten:

- Kostensenkung, insb. der Arbeitskosten (MIT-Studie: 1988/89 benötigten japanische Unternehmen 16,8 Stunden, europ. Autofirmen 36,2 St. zur Fertigung eines Pkws),

- Qualitätsverbesserung (integriertes Qualitäts-Management) und kontinuierliche Verbesserungen (Qualitätszirkel),

- größere Flexibilität der Produktion durch computergestützte Fertigungs- und Managementmethoden sowie durch Arbeitsgruppen, in denen die Arbeiter nicht auf eine bestimmte Tätigkeit spezialisiert sind, sondern für verschiedene Tätigkeiten qualifiziert sind und untereinander kooperieren;

- Senkung der Fertigungstiefe mit Just-in-time-Zuliefersystemen. Lean production bedeutet im Effekt der Versuch einer Kombination der Vorteile der industriellen Massenproduktion (scale economies) mit der Flexibilität der handwerklichen Produktion (economies of scope). D.h.: Die scale economies werden keineswegs unbedeutend! Z.B. Montagewerke: optimale Größe mindestens 250.000 Autos/a.

- Kürzere Zeit der Modellentwicklung, z.B. in J 1989 47 Monate, dagegen USA 60 Monate; möglich durch simultaneous engineering statt linear angeordneter Entwicklungsschritte.

- Neuorganisation des Zuliefersystems, vgl. Fig. 10.5.
= mehrstufige, hierarchische Anordnung von Zulieferern; der gesamte Prozess steht jedoch unter Kontrolle, d.h. insb. Qualitätskontrolle, des Autounternehmens und unter dem Zwang, sich flexibel an die Anforderungen des Autounternehmens z.B. bei raschem Modellwechsel anzupassen. Modellhaft: vertikal segmentierte Zulieferpyramide: schmale Spitze: Preferred-status-Zulieferer mit gemeinsamen Konstruktions- und Entwicklungsaufgaben, verbunden mit enger Anlehnung bzw. Abhängigkeit von einem Automobilunternehmen. Unteres Ende der Pyramide: kleine sweatshops ohne fest Bindung, jedoch mit hoher Preiskonkurrenz und geringem technologischen Niveau. Dadurch neue Formen der Kooperation (langfristig angelegt, "Systemzulieferer");

Folge: geringe Fertigungstiefe, möglichst viele Fertigungsstufen werden auf Zulieferer verlagert; diese Zulieferer liefern "just in time" je nach Periodizität der einzelnen Teile; räumliche Auswirkung: dadurch Entstehung regionaler Cluster von JIT-Zulieferern.

Diese Produktionsorganisation, die zu erheblichen Produktivitätsgewinnen führt, wird inzwischen weltweit praktiziert, so daß sich die Unterschiede wieder angeglichen haben.

Aktuelle Diskussion: verschiedenen konkurrierende Varianten der Rationalisierung in der Automobilindustrie:
  1. spezielle Rationalisierung (Toyota-Modell) Taktzeit 3 Min.,
  2. partizipative Rationalisierung (teilw. selbstorganisierte Gruppenarbeit von Facharbeitern, z.B. bei Mercedes in Sindelfingen und Bremen sowie BMW, Taktzeit bis 20 Min.). Mercedes-Werke in Tuscaloosa, Al., sowie in Rastatt praktizieren eher das Toyota-Modell (ebenso wie Chrysler, Opel und die meisten anderen). Evtl. Synthese: "standardisierte Gruppenarbeit".
Anderer Trend: Autos werden technisch immer aufwendiger, z.B. durch Verwendung zusätzlicher Elektronik. (Zyklustheorie: Produkt des 4. Zyklus wird kontinuierlich anspruchsvoller; Zyklus wird verlängert). Wettbewerb heute über "mehr Technik" (und Preis), Folge: Wertschöpfung pro Auto steigt. Dadurch hat die Automobilindustrie trotz Rationalisierung den Arbeitseinsatz pro Auto einigermaßen halten können.
 
 

Rolle der Politik

Grundsätzlich zwei Typen der Politik:

  1. Regulation des Marktzugangs für ausländische TNCs, sowohl bezüglich Handel als auch FDIs;
  2. Schutz bzw. Förderung der einheimischen Unternehmen.
Die Politik der einzelnen Länder ist aus beiden Komponenten unterschiedlich zusammengesetzt:

1) USA, UK: freier Marktzugang, Gleichbehandlung ausländ. und einheimischer Anbieter;

2) D: freier Marktzugang, gezielte Förderung einheim. Anbieter;

3) F, I, J: begrenzter Marktzugang, Bevorzugung einheim. Anbieter.

4) Korea: kein Zugang für ausländische TNCs als Investoren; hohe nichttarifäre Handelshemmnisse.

Handelsbarrieren: Zölle spielten früher eine bedeutende Rolle, sind aber in allen Industrieländern immer mehr abgebaut worden (vgl. GATT).

Statt dessen bedeutend wegen des wachsenden Ungleichgewichts gegenüber Japan: "freiwillige" Exportbeschränkungen, die meist bilateral ausgehandelt werden. In USA z.B. 1989: 2,3 Mio Autos.

In EU: bis 1992 nationale Quoten (F: 3%, I: nur 3000 Autos). Seit 1992/93 europäische Regulation mit ‚freiwilliger‘ europäischer Mengenbeschränkung für 7 Jahre (1993-99), angeblich als Übergangslösung zur völligen Liberalisierung. Dabei umstritten: Sind die in UK gebauten Autos japanischer TNCs eigentlich "japanische" oder "europäische" Autos?

Das ist das Problem der "Transplants" als a) unternehmerische Anpassungsstrategie an Handelsbarrieren (z.B. japanische Automobilhersteller in USA und EU) und b) als Ergebnis nationaler Politik, um Importe durch einheimische Produktion zu ersetzen, insb. in UK; = traditionelle Politik der EL zur Importsubstitution, meist verbunden mit Auflagen zur Berücksichtigung einheimischer Zulieferer.

Was heißt heute "japanisches" oder "europäisches" Auto? z.B. Nissan in GB? Ist es ausreichend, wenn die Endmontage in EU erfolgt? Oder muß 50 oder 90% der gesamten Wertschöpfung ('local content') auf das betreffende Land oder auf die EU entfallen? In vielen Schwellenländern, die die Fertigungstiefe der dortigen Montagswerke erhöhen wollen, werden Quoten zwischen 50 und 80% festgesetzt. Frankreich wünscht eher 100%.

Rolle der Industriepolitik für die Autoindustrie in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich.

z.B. Frankreich und Italien: erheblicher Anteil staatlichen Eigentums und dementsprechend Bestreben der Politik zum Schutz vor unliebsamer Konkurrenz; dagegen kleinere Länder ohne eigene Autoindustrie meist liberal.

z.B. EU: Vollendung des Binnenmarktes 1992/93 hatte große Auswirkungen, da die nationalen Regulationssysteme entfielen und der EU-Raum zu einem integrierten Produktionsraum mit intensiven Verflechtungen zwischen den Teileproduzenten und Montagewerken; davon profitierten insb. Spanien und Portugal. Neuen Perspektive: EU-Osterweiterung mit möglichen Produktionsverlagerungen in die MOE-Länder.

z.B. Japan in 50er und 60er Jahren: unter Führung des MITI Aufbau der japan. Autoindustrie: Schutz des Binnenmarktes durch Barrieren, Förderung des Technologietransfers durch Lizenzen, aktive Technologiepolitik; aktive Exportförderung. Heute nicht mehr in diesem Sinne, sondern insb. bilaterale Verhandlungen ("freiwill. Exportbeschränkungen").

z.B. Korea: noch 1975 unbedeutende Autoindustrie; danach massive staatliche Förderung; bis 1997 rasches Wachstum, auch exportorientiert nach USA und EU, da erheblicher Preisvorteil gegenüber Japan (Wechselkurse!), aber 1998 durch Asienkrise getroffen.

Umweltpolitik: Emissionsreduktion (Katalysator) und Benzinverbrauch. Hier waren die USA, insb. Kalifornien, Vorreiter. Ökonomische Auswirkungen ambivalent: einerseits Verteuerung der Autos (aber ohne nennenswerte Auswirkung auf Nachfrage), andererseits zumindest vorübergehend Wettbewerbsvorteil der Anbieter, die sich schnell auf die neuen Markterfordernisse einstellen, d.h. meist der einheimischen Anbieter.

Unternehmensstrategien:

Table 10.6: hoher Konzentrationsgrad der Unternehmen: Während es in den 1920er Jahren noch Hunderte von Autoproduzenten gab, sind es in vielen Ländern heute nur noch 1-2; die 15 größten Unternehmen produzieren heute ca. 80% aller Autos.

Seit Jahrzehnten sind GM und Ford die weltweit größten; allerdings ist ihr Anteil in den letzten drei Jahrzehnten auf ca. ¼ der Weltproduktion gefallen. Statt dessen sind insb. die großen japanischen Unternehmen gewachsen. Seit den 1970er Jahren gehören die 5 großen japanischen Autofirmen zur Weltliga der 15 größten Unternehmen. Reihenfolge: 1. Toyota, 2. Nissan, 3. Honda, 4. Mitsubishi, 5. Mazda.

Internationalisierung der Unternehmen (vgl. Table 10.6): Selbst in der Autoindustrie haben die Unternehmen immer noch eine starke nationale Basis. Die größte Internationalisierung zeigt Ford: 57 % der Autoproduktion entfällt auf das Ausland. GM: 50 %, Volkswagen 44 %; bei den meisten stark steigende Tendenz.

Japanische Unternehmen: um 1980 fast rein national, in den 80er und 90er Jahren aber rascher Aufbau ausländischer Produktionen, insb. in USA und UK. 1994: Honda 42 %, Nissan 33 %, Mazda 23 %, Mitsubishi 20 %, Toyota 17,5 % im Ausland.

Motive der Internationalisierung der Auto-TNCs:
1) Reaktion auf nichttarifäre Handelsbeschränkungen,
2) Reaktion auf Arbeitskosten und Wechselkursschwankungen,
3) Marktnähe.

"Strategische Allianzen" = Unternehmensstrategie als Reaktion auf immer häufigeren Modellwechsel, wachsende Aufwendungen für F & E, desh. häufig punktuelle Kooperationen, teilw. auch breitere Kooperationen in den unterschiedlichsten Formen. Daraus hat sich ein regelrechtes Spinnennetz von Kooperationen entwickelt, in das praktisch sämtliche große Automobilunternehmen einbezogen sind. Beispiel: Ford und VW betreiben das Joint Venture Autolatina für den südamerikanischen Markt.

Wettbewerbsstrategien:

Amerikanische und europäische Unternehmen:

a) "World car"-Strategie: globale Produktion, konsequente Ausnutzung von Kostenvorteilen in einzelnen Ländern und Nutzung von Skalenerträgen. Produktion in hohen Stückzahlen (typisch für die Epoche des "Fordismus").

= Strategie von GM und insbes. Ford in 70er und 80er Jahren.

Strategie gescheitert wegen a) der "Lean production"-Innovation aus Japan und b) der Ausdifferenzierung der Nachfrage (s.o.). Daimler-Chef Schrempp: "Ein Einheitsauto für die gesamte Welt funktioniert nicht."

b) Luxusauto-Strategie: relativ geringe Stückzahlen mit hohem technischen Standard, hoher Qualität, gutem Markenrenommee und hohem Preis (und damit hohen Gewinnspannen).

= Strategie von Mercedes, BMW und Volvo, früher auch englische Anbieter; setzt Vorsprung der Innovationstätigkeit voraus; heute zunehmend durch ostasiatische und nordamerikanische Anbieter herausgefordert.

Japanische Unternehmen:

Bis ca. 1982: Aufbau einer leistungsfähigen Autoindustrie, die sowohl binnenmarkt- wie auch exportorientiert war, aber auf ausländische Fertigung zunächst komplett verzichtete. Erfolgsfaktoren: staatliche Förderung, kostengünstige hocheffiziente Produktion, u.a. zunächst wegen Arbeitskostenvorteil, später wegen überlegener Lean-production-Produktionsorganisation. Kosten- und Qualitätsvorteile ermöglichten hohe internationale Konkurrenzfähigkeit trotz beträchtlicher Transportkosten!

Seit ca. 1982 grundsätzlich gewandelte Strategie: Aufbau von Produktionsbetrieben in USA und EU, beginnend mit Honda 1982; in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zogen alle japanischen Firmen nach; vgl. Table 10.7.

Fallstudie Honda (nach Morris 1991):

Honda ist unter den japanischen Automobilunternehmen in Japan ein relativer Spätkommer. Auch aufgrund der nachrangigen Marktposition hat Honda relativ früh eine Internationalisierungsstrategie betrieben, um Wettbewerbsvorteile zu erringen.

Erster Schritt: Ende 60er Jahre Übernahme eines einheimischen Unternehmens in Malaysia; dann in den 70er Jahren in Indonesien und (noch einmal) Malaysia, in den 80er Jahren in Taiwan, Thailand und Indien.

Schwerpunkt der Auslandsaktivitäten jedoch in Nordamerika.

Beginn Mitte der 70er Jahre in Marysville, Ohio. Dann bis Ende der 80er Jahre 7 weitere Fabriken für Teile (z.B. Motoren und Getriebe), fast sämtlich in Ohio! (1 Zulieferer für Klimaanlagen in Kalifornien und 1 Montagewerk für Kanada in Ontario).

Ab 1982 Aufbau einer integrierten Automobilproduktion mit einem regionalen Cluster von Fertigungsstätten für Teile. Aufbau einer eigener R&D-Abteilung; höchster Local-content-Anteil aller japanischen Transplants in USA (1991 bereits 75%).

Um 1990 bereits der viertgrößte Automobilproduzent in USA nach den großen 3 amerikanischen; Mitte 90er Jahre: 11 Werke mit Jahresproduktion 1,8 Mio Autos, das sind 15% der US-Autoproduktion.

Weitere Strategie: Ausbau zu einem selbständigen Unternehmensbereich mit Wertschöpfungskette, die von J völlig unabhängig ist, d.h. eigenem Zuliefersystem, eigenen R&D-Zentren, autonomen Unternehmensentscheidungen, teilweise exportierend und auf dem Weltmarkt mit Honda/Japan konkurrierend.

In Marysville in 80er Jahren Kapazität von nur 150000 Autos, dann ausgebaut auf 500000 p.a.; ferner 2 Montagewerke mit 150000 (Ohio) und 80000 (Ontario) Autos Kapazität. Von den Japanern ist Honda der "amerikanischste", z.B. kommen 95% des verwendeten Stahls aus USA. Um Honda in Marysville hat sich ein Cluster von Zulieferern gebildet, darunter allein 40 Mittelbetriebe in japanischem Eigentum. JIT-system erfordert räumliche Nähe im Umkreis von 1 h bzw. 2 h. Dadurch hat sich ein Auto-Korridor zwischen Michigan und Tennessee gebildet. Der Ohio Interstate Highway 75 wurde "Parts supplier alley" genannt.

In EU ist Honda noch weniger vertreten. Erster Stützpunkt in UK durch ein Joint venture mit Rover. Produktionsstätten in Swindon bei London mit Jahreskapazität von 100.000, eigenem Motorenwerk und local content von 60-80%.

Gründe:

- Reaktion auf "freiwillige Exportbeschränkungen" und andere nichttarifäre Handelshemmnisse der wichtigsten Zielländer.

- Steigende Kosten in J und insbesondere Reaktion auf Wechselkursschwankungen (Absicherung gegen Risiken verursacht Kosten, insb. anhaltende Yen-Überbewertung; Yen ist Anfang der 90er Jahre erneut um 40% aufgewertet worden!) Dieser Faktor wird immer wichtiger als der erste.

- Marktnähe, d.h. flexiblere Reaktion auf Nachfragetrends.

Japanische Automobil-TNCs insgesamt in USA:

1991: in USA 12 Transplants mit 2,7 Mio Kapazität und (nur!) 25000 Beschäftigten, d.h. geringe Fertigungstiefe.

Dieser Trend wird gefolgt von japanischen Zuliefer-Transplants, bis 1991 in USA bereits ca. 300. Lokalisation: "Transplant-Korridor" Ontario-Michigan-Illinois-Ohio-Kentucky-Tennessee. Mikrostandorte: meist nicht in alten Industriestädten, sondern "auf der grünen Wiese" in halb ländlichen Regionen mit geringem Einfluß der Gewerkschaften. = neuer "Industrial district".

Zeigt zugleich, dass die japanische Unternehmensorganisation nicht an den Standort und an die japanische Kultur gebunden ist, sondern auch einer Kombination organisatorischer und technischer Prinzipien besteht, die prinzipiell auch in anderen Ländern realisiert werden können:

- Nutzung der Motivations-, Qualifikations- und Kreationspotenziale aller Mitarbeiter, gerade auch der Arbeiter (shop-floor workers),

- hohe funktionale Integration innerhalb und außerhalb des Betriebs, insb. JIT,

- straff organisierte Zulieferpyramide mit wenigen privilegierten "Systemlieferanten".

In Europa geringere und spätere Diffusion: Table 10.8.

Vorreiter: Nissan in Sunderland. Bis heute fast ganz konzentriert auf UK. Ab 1992 forciert: Sorge vor "Festung Europa"; inzwischen wieder abgeflacht.

Stand der Internationalisierung der japanischen Autounternehmen 1994 vgl. Figure 10.7: am höchsten Honda, aber bei allen ist der Anteil steigend. Dennoch sind die japanischen Automobilunternehmen immer noch vergleichsweise national ausgerichtet.

Strategische Reaktionen auf die japanische Herausforderung:

Zumeist Mix bzw. Kombination der japanischen Konzepte:

- Einführung neuer Technologien, insb. Automatisierung und Roboterisierung;

- Einführung flexibler Produktionssysteme;

- neue Arbeitsorganisation: Arbeitsgruppen und Fertigungsinseln, Nutzung der höheren Qualifikation für flexibleren Arbeitseinsatz und Gruppenverantwortlichkeit;

- Aufbau straffer Zulieferersysteme mit JIT-Organisation und straffem Qualitätsmanagement;

- Verringerung der Fertigungstiefe;

- strategische Allianzen mit anderen Unternehmen;

- Kapitalverflechtungen zwischen Unternehmen; Beispiel: Ford hat inzwischen über 33% des Kapitals von Mazda übernommen; früherer Ford-Manager Henry Wallace wird Mazda-Präsident. Gründe/Motive: Mazda macht wegen Yen-Überbewertung z.Zt. hohe Verluste (1995 380 Mio $), desh. leichter Aktienkauf; Ford gewinnt dadurch Einstieg in den schwierigen japanischen/ostasiatischen Markt. Ford besaß bereits seit 1979 25% des Mazda-Kapitals; um im ostasiatischen Pol der Triade präsent zu sein, wählte Ford diesen Weg statt des mühsamen Wegs eines Aufbaus eines eigenen Zweigunternehmens. Z.Zt. wird erwartet, dass Ford-Mazda das hochverschuldete koreanische Auto-Unternehmen Daewoo übernimmt.

Amerikanische Unternehmen: Fig. 10.8

GM und Ford sind die ältesten TNCs. Expansion erfolgte zunächst nach Kanada, dann bereits vor dem Zweiten Weltkrieg nach Europa. GM kaufte Firmen auf (z.B. Vauxhall in UK und Opel in Rüsselsheim), Ford bevorzugte Greenfield Investments, z.B. in Köln. 1999/2000: GM steigt bei Fiat ein; dadurch stärkere Präsenz auf dem europäischen Markt!

Präsenz der US-amerikanischen Unternehmen in Ostasien ist besonders schwach. Dort werden eher Joint ventures und Kooperationen bevorzugt.

Chrysler: Sonderfall mit traditionell geringer Internationalisierung (aufgrund von Kapitalmangel); 1998 Fusion mit Daimler-Benz zu "Daimler-Chryler".

Europäische Unternehmen (Fig. 10.9):

Starker Druck zum Aufbau von Fertigungsbetrieben in Nordamerika; Gründe:

- Wechselkursschwankungen US$/DM (weitaus wichtigster Grund!),

- Marktnähe,

- evtl. Handelshemmnisse bei Konflikten USA/EU.

Volkswagen: klare räumliche Segmentierung durch Konzentration der höheren Qualitäts- und Preisklassen auf D, jedoch Auslagerung der Produktion von billigeren Standard-Pkws in Ausland (Mexiko, Brasilien, Spanien, Tschechien (Übernahme von Skoda); Problem USA: 1988 Schließung des Werks in Pennsylvania nach hohen Verlusten, jedoch evtl. neues Engagement?

Fiat und französische Unternehmen stärker national orientiert (Rückzug auf geschützte Märkte? Außereuropäische Auslandsengagement teilweise wieder aufgegeben). Fiat steht inzwischen vor einer Übernahme durch GM, da allein zu schwach.

Mercedes-Benz und BMW?

- BMW eröffnete 1994 in Spartanburg ein kleines Montagewerk; dann durch Rover-Kauf 1994 forcierte Internationalisierung; Rover inzwischen wieder verkauft.

- Mercedes-Benz noch spätere Internationalisierung. Meldung 4.3.95: "Schwierige Arbeitsumgebung in D veranlasst Mercedes-Benz, Produktionen in den wichtigsten Absatzmarktregionen aufzubauen (Markterschließung, Wechselkursrisiken); 1997 Errichtung eines Zweigwerks in Tuscaloosa (Alabama). 1998 Sensation: Fusion mit Chrysler als Juniorpartner; dadurch wurde schlagartig der Internationalisierungsrückstand aufgeholt; Daimler-Chrysler ist heute ein internationales Unternehmen mit englischsprachigem Management. 1999/2000: Daimler-Chrysler steigt bei Mitsubishi ein (schon zuvor durch technische Allianz verbunden; allerdings nur mit einer Minorität; Kooperation auf dem Gebiet der Pkws; bei den Lkws wird die Kooperation Mitsubishi-Ford-Volvo nicht tangiert). April 2000: Einstieg bei Hyundai; Juni 2000: Daimler-Chrysler und der koreanische Branchenerste Hyundai haben sich auf eine strategische Allianz geeinigt. Strategie: Durch die Allianz mit Mitsubishi und Hyundai soll der ostasiatische Zukunftsmarkt erschlossen werden (z.B. Weiterentwicklung des Smart zu einem viersitzigen Kleinwagen durch Verbund Daimler-Mitsubishi-Hyundai; Nutzfahrzeuge Daimler-Hyundai).
Damit innerhalb von 2-3 Jahren: konsequente Globalisierungsstrategie eines zuvor fast rein deutschen Unternehmens!

NICs-Unternehmen:

Prinzipiell gilt: Nur IL-Unternehmen bedeutsam; aber zwei Ausnahmen in Ostasien:

(1) Südkorea: Dort drei Unternehmen, die durch ein enges Zusammenwirken von Staat und Chaebols entstanden sind (anfangs als Joint ventures, u.a. mit GM und Mitsubishi): 1) Hyundai, 2) Daewoo, 3) Kia.

Daewoo ist ein Joint venture mit GM und eng mit GM verknüpft; seit Anfang 1995 mit große PR-Kampagne auch in Deutschland (Problem: Aussprache des Firmennamens). Seit 1997 erste Finanzprobleme; steht zur Versteigerung an und bietet globalen Unternehmen Einstiegsmöglichkeit in ostasiatischen Wachstumsmarkt; wird wahrscheinlich von Ford-Mazda gekauft.

Bisher erfolgreich auf Exportmärkten: Hyundai (allerdings Probleme in Nordamerika mit Schließung eines Zweigwerks in Kanada; in D erster koreanischer Anbieter); beim Aufbau teilw. Kooperation mit Mitsubishi, dann aber insb. Preiswettbewerb! Hyundai plant Internationalisierung mit Zweigwerken in Türkei, Vietnam, Indien. Seit Frühjahr 2000: enge Allianz mit Daimler-Chrysler; wg. Finanzproblemen wahrscheinlich Verlust der Selbstständigkeit.

Kia (in D von der Deutschen Lada GmbH vertrieben) seit 1993 auf dem deutschen Markt. Absatz 1993: 1800, 1994: 11300 Autos. Kia hatte 1997 ernsthafte Liquiditätsprobleme; dann von Hyundai übernommen.

Alle drei koreanischen Automobilbauer werden vermutlich ihre Selbstständigkeit verlieren, da sie allein weder die international wettbewerbsfähige Kompetenz noch die notwendige Finanzkraft haben. Korea ist aber als Standort für globale Unternehmen (GM, Ford, Daimler-Chrysler) interessant: a) relativ günstige Arbeitskosten, b) Stützpunkt zur Erschließung des ostasiatischen Wachstumsmarktes, insb. Chinas.

(2) Malaysia: Bau des "Proton" (Joint venture mit Mitsubishi); wird inzwischen auch exportiert.

(3) Mexiko: Aufbau von Betrieben von GM, Ford, Chrysler, Nissan und VW; hier Chancen für Nafta-Markt! Starke Steigerung der Produktion in Sonderproduktionszonen.

(4) Ähnlich Brasilien, allerdings hauptsächlich für Binnenmarkt.

(5) Neu auch: Indien ('Maruti') im Zuge der neuen Liberalisierung der indischen Wirtschaftspolitik.

Andere NICs, insb. früher Indien, verhalten sich restriktiv gegenüber FDIs von Auto-TNCs.
 
 

Perspektive:

(1) Abgesehen von typischen Nischen-Unternehmen (wie Porsche, Alfa Romeo) werden nur wenige große globale Unternehmen überleben, die

- global vermarkten,

- global produzieren,

- die im globalen Wettbewerb um technischen Wettbewerb, rasche Modellwechsel und im Kostenwettbewerb durch global sourcing mithalten können.

Sie können flexibel auf regionale und nationale Produktionsbedingungen (insb. Wechselkursschwankungen) reagieren und ziehen sich tendenziell aus Höchstlohnländern wie D zurück.

Folge: Fusionen schreiten fort. Gruppen:

- GM-Opel-Fiat-Subaru

- Ford-Mazda-Daewoo

- Daimler-Chrysler-Mitsubishi-Hyundai

- Volkswagen-Seat-Skoda

- Toyota

(2) Die großen Unternehmen kooperieren in Allianzen (z.B. gemeinsame Entwicklung von Minivans Ford/VW, Transporter VW/Toyota) und punktuell durch Bezug von Teilen (z.B. Dieselmotor für Opel-Omega von BMW, VW-Motor für neue Großraumlimousine von Mercedes). Dadurch Kosteneinsparung und größere Flexibilität. Dadurch werden die bekannten Automarken tendenziell zu Handelsmarken!

(3) Problem der "Handelskriege" infolge von anhaltenden Ungleichgewichten, insb. zwischen USA und Japan. Handelsdefizit der USA bei Automobilen 1994: 50 Mrd $!

USA (Clinton-Regierung): US-Autoindustrie ist so konkurrenzfähig wie die japanische und europäische; die anhaltend niedrigen Exporte nach Japan sind im wesentlichen eine Folge von nichttarifären Handelshemmnissen, während der US-Markt offen ist. Trotz des US-japanischen Abkommens von 1993, in dem eine Förderung der Importe vereinbart wurde, hat sich nichts Wesentliches geändert. Erste Maßnahme: 100% Strafzölle auf 13 japanische Luxusmodelle.

Japan (MITI): Japanischer Markt ist bereits offen. Inoffiziell: US-Autos sind offensichtlich weniger konkurrenzfähig. Mögliche Gründe: schlechtes Qualitäts-Image, falsche Modellpolitik, insb. zu groß und zu große Motoren mit hohem Benzinverbrauch, falsche Angebotspolitik der Amerikaner (Konzentration auf teure große Autos), mangelnde Flexibilität (nur wenige amerikanische Autos mit rechtem Steuerrad für japan. Linksverkehr lieferbar).

Situation 1994: Japanischer Markt: immer noch dominiert von japan. Unternehmen mit Marktanteil 93%! (1. Toyota 1,4 Mio; 2. Nissan 759.000, 3. Mitsubishi 388.000, 4. Honda 359.000, 5. Suzuki 312.000, 6. Mazda 264.000, 7. Daihatsu 217.000, 8. Fuji 214.000, 9. Isuzu 5.000). Dagegen nur 6,6% Importautos; dieser Anteil ist zwar in den letzten Jahren gestiegen (1993/94 +41,6%), aber immer noch auf einem niedrigen Niveau. Von den 276.000 importierten Autos entfielen auf: 1. Honda/USA 47.000, 2. Mercedes-Benz 34.000, 3. BMW 29.000, 4. VW 28.000, 5. Opel 19.000, 6. Chrysler 14.000, 7. Ford/USA 12.000, 8. GM 9.000. (Das heißt: Die japanischen Transplants in USA sind erfolgreicher als die genuin US-amerikanischen Unternehmen!)

In USA werden hingegen 20% importiert, in D sogar 35%.

Experten: Japan ist tatsächlich ein offener Markt, aber ein schwieriger. Importeure benötigen:

  1. viel Geld (zum Aufbau eines eigenständigen Händler- und Werkstattnetzes; dies ist ein großes Problem, da praktisch alle Händler de facto mit einem japanischen Autokonzern fest verbunden sind),
  2. viel Mut (für japanspezifische Marketingstrategien),
  3. viel Zeit (da mit langen Anlaufverlusten zu rechnen ist).
Zu 2): Japanische Autohersteller bieten weitgehenden Service bei Reparaturen und TÜV-Prüfungen, indem sie kostenlose Ersatzautos bereitstellen. Japanischer BMW-Fahrer: Jedesmal, wenn ich mit einer Reparatur zu meiner BMW-Werkstatt komme, werde ich wie ein Bittsteller behandelt und so, als ob ich für den Fehler verantwortlich wäre. Bei einem japanischen Unternehmen ist es genau umgekehrt: Der Händler entschuldigt sich für die Panne, stellt mir einen Ersatzwagen zur Verfügung und fährt mir mein repariertes Auto vor die Haustür. Kapitel 11 Sektorale Betrachtung: Elektronikindustrie

Elektronikindustrie gilt als
a) "junge Industrie" (möglicherweise Leitbranche des 5. Kondratieff),

b) diejenige mit den weitreichendsten Wirkungen auf viele andere Zweige;

deshalb von besonderer technologie- und wirtschaftspolitischer Bedeutung ("Modell Silicon Valley").

Technische Basisinnovationen:

1) Erfindung der Vakuumröhre und des Radios um 1900;
= Beginn der Elektronikindustrie, zunächst aber noch wenig dynamisch;

2) Erfindung des Transistors in USA 1948;
Transistor: chemisch behandeltes Siliziumkristall, das als Halbleiter fungiert, d.h.: dessen Leitfähigkeit für Elektrizität lässt sich einfach und präzise steuern.
Folge: Ersatz von Röhren durch Transistoren, z.B. in Radios.

3) Ca. 1958/60: Integrierte Schaltungen (integrated circuits), d.h. Kombination von Transistoren auf einem Silizium-Chip.

4) Ca. Ende 70er Jahre: Durch Miniaturisierung der Chips Entwicklung von sog. "Mikroprozessoren", d.h. praktisch Computer auf einem fingernagelgroßen Chip.

Für praktische Anwendung wichtig: a) Miniaturisierung; heute: Millionen von Schaltungen auf einem Chip von 1 cm²! b) Verbilligung; Produktion der Basiselemente (Speicherchips, Prozessoren, Standardschaltungen) in hohen Stückzahlen als Massenware; Hauptrohstoff Silizium ist ubiquitär! Preisverfall: z.B. Preis für 1 Speicher-Bit: um 1965: 50 $, in 80er Jahren in einem 16k-RAM: 0.0005 $ (d.h. Faktor 10.000!).

c) Zahlreiche neue Anwendungsfelder: Haushaltselektronik, Unterhaltungselektronik, Computer, Autos, Medizintechnik, in vielen Industrien.

d) Politische Relevanz: hohe militärische Bedeutung; große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit anderer Industrien; gilt als sog. Schlüsseltechnologie, die über die volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit mitentscheidet.

Produktionssystem: Fig. 11.1 (ist sehr vereinfacht)

A. Kern: Elektronische Komponenten, dabei besonders wichtig: aktive Komponenten: a) Mikroprozessoren (d.h. Prozessorchips), b) Speicherchips (memory chips). Ein Chip besteht aus einer Kombination von vielen (Tausende bis Millionen) Halbleitern (Transistoren). Aus den Basiskomponenten werden integrierte Schaltungen gefertigt, dabei kann wiederum unterschieden werden: a) Standardschaltungen, b) anwenderspezifische Schaltungen ("ASICs" = application-specific integrated circuits).

B. weite und heterogene Anwendungsfelder, die sich grob aufteilen lassen in

a) "Industrieelektronik" (Computer, Telekommunikation, Bürokommunikation, Autos, Industriemaschinen usw.),

b) "Haushaltselektronik" (Haushaltsgeräte, Fernseher, Video usw.).

Volkswirtschaftliche Bedeutung am Beispiel Deutschlands: Halbleiter-(Chip-)Produktion 14 Mrd DM, diese fließen in elektronische Geräte und Systeme im Wert von 86 Mrd DM, diese werden eingesetzt in Industriezweigen wie Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik sowie Datentechnik im Wert von 926 Mrd DM, d.h. ein Viertel des deutschen BSP (3,7 Bill. DM) geht auf die mikroelektronische Wertschöpfungskette zurück.

Produktion der sog. "aktiven Komponenten" (d.h. insb. der Chips und integrierte Schaltungen): Fig. 11.2.

In 50er bis 70er Jahren: Dominanz der USA; dann Japan führend. 1996: 1. Japan, 2. USA, 3. Korea, 4. Malaysia, 5. Singapur, 6. Taiwan, 7. D, 8. F, 9. UK usw.
In den letzten Jahren aber große Verschiebungen. Nach Angaben der World Semiconductor Trade Statistics fiel Japan zurück, während die europäischen Länder aufholen konnten: 1998/99: 1. USA, 2. Westeuropa, 3. SE-Asien, 4. Japan.

Fig. 11.3: Handel mit aktiven Elektronik-Komponenten:
hoher Exportüberschuss Japans mit 18 Mrd $, dagegen Importüberschüsse der USA und EUs in Höhe von je 8-10 Mrd $; NICs haben hingegen Exportüberschuss!

Standorte der Chip-Produktion: zunehmende Aufspaltung zwischen Standard-Chips und ASICs;

Verlagerung der Produktion von Standard-Chips in die NICs (insb. Ost- und Südostasien, aber auch Mexiko und Karibik) und die europ. Peripherie, insb. Irland;

dagegen bleibt die Produktion von ASICs in High-Tech-Zentren wie im legendären Silicon Valley in Kalifornien (heute aber nicht mehr dominant, daneben andere Zentren in den ganzen USA wie Colorado, Oregon, Utah, auch Ostküste; Europa: Süddeutschland ("Munichon Valley"), Raum Lyon-Grenoble, England: London-Reading-Bristol, aber auch Schottland.

Haushalts- oder Konsumelektronik:

Im Vergleich zur Industrieelektronik hat sich die Haushaltselektronik in den letzten Jahren deutlich weniger dynamisch entwickelt. Muster der Produktion bei Haushaltselektronik (Fig. 11.4):

Rangfolge: 1. Japan, 2. VR China, 3. Malaysia, 4. USA usw. (bei Standardgeräten wie Fernsehern VR China bereits Nr. 1).

Handel mit Haushaltselektronik 1994 (Table 11.5): weltweit größte Exportüberschüsse: Japan (+14 Mrd $) und Südkorea, ferner Singapur und Malaysia (NICs + 17 Mrd $). Größte Importüberschüsse: 1. USA (- 15 Mrd $) und EU (- 7 Mrd $).

Fazit: Ostasien exportiert weltweit, insb. nach Nordamerika, EU und EL.

Experteneinschätzung (VDE-Studie Anfang 2000) der künftigen Entwicklung der globalen Halbleiterindustrie: Konsumelektronik verliert Anteile, Datentechnik bleibt mit 47% wichtigstes Anwendungsfeld. Nordamerika bleibt Nr. 1 (ca. 1/3 der globalen Produktion), dahinter mit je ¼: Ostasien (ohne Japan) und Europa; Japan verliert Anteile.
 
 
 
 
 
 
 
 

Handel mit Büromaschinen und Telekommunikationsgeräten

Länder mit Ex- bzw. Importen über 10 Mrd $:

Quelle: WTO: International Trade 1995, Table IV.36 S. 106.

Ergebnisse:

- Führende Rolle Japans bei den Exporten; Exporte allerdings stagnierend und Importe rasch zunehmend;

- hohe Importüberschüsse der USA und Deutschlands;

- weitreichende Verschiebungen in den letzten Jahren: europäische Länder verlieren Welthandelsanteile, ostasiatische Länder rücken in die Gruppe der großen Welthandelsländer, insb. Singapur, Malaysia, Südkorea, Taiwan, künftig sicherlich auch VR China.
 
 
 
 
 
 

Einflussfaktor Nachfrage

Halbleiter: sog. "abgeleitete Nachfrage", d.h. nicht durch Endkonsum, sondern "intermediär" für andere Zweige der Volkswirtschaft. Früher besonders wichtig: Rüstungsindustrie, heute wichtiger: Industrie- und (sekundär) Haushaltselektronik. Insb. die Datentechnik (Informations- und Kommunikationstechnologien) bleibt auch künftig das mit Abstand wichtigste Anwendungsfeld; ferner: Autoelektronik (spezielle Stärke Deutschlands).

Durch Verbilligung und Leistungssteigerung explosionsartige Nachfragesteigerung. Umsätze der globalen Halbleiterindustrie stiegen von ca. 50 Mrd $ 1985 auf ca. 150 Mrd $ Mitte der 90er Jahre.

Industrieelektronik: Nachfrage ist dort, wo die advanced manufacturing industries (insb. Elektrotechnik, Maschinenbau, Automobilbau) lokalisiert sind, d.h. vor allem in den Ländern der Triade.

Haushalts- und Unterhaltungselektronik: wichtigster Faktor: Einkommen der privaten Haushalte, da es sich um Güter mit hoher Einkommenselastizität handelt.
 
 

Faktor technischer Fortschritt und Produktionskosten

Halbleiter:

Insb. bei Speicherchips enorme Leistungssteigerung: seit Ende der 70er Jahren explosionsartige Steigerung der Speicherkapazität, heute schon 256 MB-Chips in Produktion (256 MB: 16.000 Schreibmaschinenseiten auf 2,86 cm²!). Weitere Klassen bis Giga-Byte-Kapazität in Vorbereitung.

Regel: Verdoppelung der Leistung ca. alle 18 Monate bei konstantem Preis! Das ist das sog. "Mooresche Gesetz", benannt nach Gordon Moore, Gründer des Chipherstellers Intel.

Prognose: Um 2013 gibt es den 256-Gigabyte-Chip, d.h. mehrere Millionen Halbleiter auf einem fingernagelgroßen Chip.

Diese Entwicklung setzt eine weitere Miniaturisierung in den Nanobereich voraus. (1 Nanometer = 1 Milliardstel Meter). Deshalb gilt heute die "Nanotechnologie" als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Neue Instrumente wie das Rastertunnelmikroskop erlauben ein Vordringen der Materialforschung und –technologie bis in den atomaren Dimensionsbereich. Dadurch werden zahlreiche neue Anwendungsfelder der Technologie erwartet.

Parallel zur Leistungssteigerung steigt die Kapitalintensität der Produktion:
1) F & E-Aufwendungen steigen überproportional,
2) neue Produktionsstätten werden immer teurer, z.B. Chip-Fabriken in Regensburg und Dresden ca. 300 Mio bis 500 Mio DM. Extrem aufwendige Produktion unter Reinstraumbedingungen, große Probleme wegen hoher Ausschussraten.

Folge für Wettbewerbssituation: nicht nur technologische Barriere des Markteintritts, sondern auch Kapitalbarriere; immer weniger große TNCs können bei diesem hochriskanten Wettbewerb mithalten.

Stufen der Produktion integrierter Schaltungen (Table 11.6):

1. Entwurf der neuen Schaltung,

2. Fertigung der sog. Masken (Bilder der Schaltungsmuster),

3. Fertigung der sog. Wafer (wörtl. hauchdünne Oblate), d.h. Siliziumkristallscheiben, Ätzen der Schaltungsmuster auf die Wafer mit Hilfe der Masken, 4. Montage der Chips auf Leiterplatten o.ä.;

5. Testen und Versand.

Wichtig: unterschiedliche Standortneigungen des einzelnen Stufen:

Haushaltselektronik:

Beispiel Fernseher: ähnliches Muster, d.h. einerseits Trend zu standardisierter Massenproduktion mit hohen Kapitaleinsatz und wenig qualifizierten Fachkräften; andererseits hoher Kapitaleinsatz für F & E, z.Zt. insbesondere für Flüssig-Kristall-Technologie (LCD), die flache Bildschirme erlaubt (technologischer Durchbruch wird in Kürze erwartet).
 
 

Faktor Politik der Regierungen

Die Politik ist besonders engagiert bei der Halbleiterindustrie, ferner der Computer- und Telekommunikationsindustrie. Halbleiter gelten als Basistechnologie mit strategischer Bedeutung für viele andere Industrien wie Auto, Maschinenbau usw., auch für die Rüstungsindustrie; Länder versuchen, gerade in dieser Basistechnologie eine Abhängigkeit von anderen Ländern zu vermeiden.

Grundsätzlich bestehen drei Optionen:

a) Aufbau einer eigenen Halbleiterindustrie,

b) Aufbau von Fertigungsstätten ausländischer Halbleiterfirmen,

c) Zukauf von Chips auf dem Weltmarkt und Konzentration auf weitere Verarbeitungsstufen ("assembling"). Besonders kritische Situation: Verhältnis zwischen USA und Japan. Ursprünglich war USA Weltmarktführer, im Wesentlichen ausgelöst durch staatlich forcierte Rüstungs- und Luftfahrtindustrie. Nach dem Verlust der Weltmarktführerschaft an Japan entstand eine heftige politische Diskussion: einerseits Credo der liberalen Weltwirtschaft, andererseits Lobby-Druck auf die US-Regierung zu Verhandlungen mit Japan (Dumping-Vorwurf und Zugang zum japanischen Markt) und zur aktiven Technologieförderung nach dem Vorbild des MITI (Aufbau der japanischen Elektronikindustrie war Schwerpunkt der MITI-Politik).

Europa? Anfang der 80er Jahre wurde in Europa, d.h. sowohl von Unternehmen als auch von der Politik, die strategische Bedeutung der Halbleiterentwicklung krass unterschätzt. Dadurch geriet Europa in einen klaren technologischen Rückstand. Seit Mitte der 80er Jahre hat sich die Situation aber wieder verändert: Einzelne Unternehmen wie Philips und Siemens haben umgesteuert und eine Aufholjagd begonnen, nationale Regierungen haben einschlägige Forschungs- und Technologieförderprogramme aufgelegt, und die Europäische Kommission hat mehrere Initiativen gestartet: ESPRIT (Informationstechnologien) und speziell JESSI (Joint European Submicron Silicon Initiative) zur Förderung der europ. Mikrochip-Industrie. Dabei Schwerpunkt: Nanotechnologien mit Fundierung durch Grundlagenforschung. Hier hat Europa inzwischen deutlich aufgeholt.

Haushaltselektronik?

Beispiel Fernseher: insg. weniger staatliche Maßnahmen als bei der Industrieelektronik, aber insb. Importrestriktionen zum Schutz einheimischer Märkte vor ostasiatischer Konkurrenz, z.B. in Frankreich. Ferner wichtig: technische Normenpolitik; z.B. dienten das deutsche PAL- und das französische SECAM-System lange Zeit (bis ca. 1980) dazu, japanische Anbieter auszuschließen.

Nationale Politik der Schwellenländer: sehr unterschiedlich. Liberale FDI-Politik in Taiwan und Singapur, aber sehr restriktive Politik mit dem Ziel des Aufbaus einer einheimischen Produktion in Südkorea. Heute steht der technologische Wettbewerb um LCD-Flachgeräte im Mittelpunkt.
 
 

Unternehmensstrategien

Insg.: zwar rasch wachsender, aber auch sehr heterogener und fragmentierter und vor allem ein globalisierter Markt mit heftiger Preiskonkurrenz; desh. breites Spektrum von Unternehmensstrategien mit großem Druck zur kurzfristigen Überprüfung der Strategien und Maßnahmen zur Restrukturierung:

Halbleiterindustrie:

Story von Silicon Valley:

1957 verließ William Shockley, einer der Pioniere der Transistor-technologie, die Fa. Bell (Telefone) und gründete in Palo Alto (Santa Clara Valley, Cal.) die Firma "Fairchild Semiconductor"; ab 1959 entstanden durch Spin-offs weitere Halbleiter-KMUs.

1971: Von den 23 bestehenden Firmen gehen 21 auf Fairchild zurück! Standortfaktor: Nähe der Stanford University, die große Militärforschungsprojekte betrieb und hochspezialisierte Wissenschaftler und Absolventen produzierte.

Ergebnis: weltweit einmaliges Cluster von High-Tech-Firmen, Schwerpunkt: Halbleiter. Dabei besonders bemerkenswert: Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit dieses Clusters konnte über Jahrzehnte aufrechterhalten werden.

Wesentliche Merkmale heute:

- kleine und mittelgroße Unternehmen (KMUs), die untereinander kooperieren (spezifische Netzwerk-Struktur und Regionalkultur),

- Großunternehmen der Halbleiterindustrie, die dort eingebunden sind,

- staatliche Finanzgeber, insb. Rüstungsindustrie und Kooperation mit Universitäten.

Heute wird der Markt von großen TNCs geprägt: Table 11.1:

Rangfolge 1999: 1. Intel, 2. NEC, 3. Toshiba, 4. Samsung, 5. Texas Instruments, 6. Motorola, 7. Hitachi, 8. Infineon, 9. ST Microelectronic, 10. Philips. Typisierung der Halbleiterunternehmen: a) vertikal integrierte Unternehmen (Extrem: IBM; auch japanische Unternehmen, die vor allem Speicherchips und Prozessoren teils für den eigenen Bedarf produzieren);

b) spezialisierte Unternehmen wie Intel und Motorola, die für den freien Markt produzieren.

c) Mischtyp von a) und b).

Teils Strategien der vertikalen Integration (z.B. IBM), teils Spezialisierung auf eine Stufe (z.B. Intel) mit unterschiedlichem Erfolg.

Strategien:

60er bis 80er Jahre: starker (horizontaler) Konzentrationsprozess durch "mergers and acquisitions"; dadurch weitgehendes Verschwinden der früher dominierenden KMUs;

seit Ende der 80er Jahre: strategische Allianzen, da selbst Großunternehmen nicht mehr allein die rasch steigenden F&E-Aufwendungen tragen können (Table 11.2).

Globale Organisation der Produktion:

In der Elektronikindustrie ist Globalisierung vielleicht weiter als in allen anderen Industriezweigen vorangeschritten.

USA-Halbleiterproduzenten:

Schon in 60er Jahren (zuerst Fairchild in Hongkong 1962) Aufbau von Halbleiterproduktionen mit einfachen Verarbeitungsstufen, insb. Montage, nach E- und SE-Asien sowie nach Mexiko ("Offshore assembling").

Fig. 11.7: klare Schwerpunkte: 1) Ostasien, 2) Mittelamerika, 3) Westeuropa.
Dabei deutliche Funktionsteilung:
1) F&E, Entwurf und großenteils auch Masken- und Waferproduktion in USA,
2) jedoch Montage offshore, d.h. in SE-Asien und Mexiko.

Neuere Tendenzen:

a) nicht mehr nur Low-cost-Fertigung, sondern auch komplette Produktion in den Schwellenländern, da dort inzwischen einheimische Fachkräfte verfügbar sind; b) zunehmende Kooperation mit ostasiatischen KMUs als Sub-contractors.

Zur Vermeidung erheblicher Transaktionskosten bauten die amerikanischen Designhäuser in den 90er Jahren mit erheblichen Investitionen selbst Waferkapazitäten auf, teils durch Firmenkauf, teils durch Joint Ventures. Andere Unternehmen bauten feste Lieferkontrakte aus, und andere setzten auf den Spotmarkt. Je größer die Designhäuser, um so häufiger die vertikale Integration.

Japanische Halbleiterproduzenten: Fig. 11.8.

Noch konsequenter als US-Unternehmen Verlagerung der Produktion nach Ost- und Südost-Asien; ebenfalls zuerst zur Nutzung der niedrigen Arbeitskosten, heute teilweise komplette Fertigungen (Wafer); forciert seit 1985 wegen der Überbewertung des Yen.

Ca. 80% der ausländischen Halbleiterproduktion japanischer Unternehmen ist in Ost- und Südost-Asien konzentriert, Schwerpunkte in Malaysia, Thailand usw. Unterschied zu USA: weniger Re-Import ins Mutterland, sondern Absatz auf dem Weltmarkt.

Korea: neuer, rasch expandierender Anbieter.

Koreanische Unternehmen begannen erst Mitte der 70er Jahre mit der Halbleiterproduktion: Samsung um 1975, Goldstar 1979, Hyundai und Daewoo 1983! Damals ganz von japanischer und USA-Technologie abhängig und zunächst auf standardisierte Produkte beschränkt. Zunächst technologischer Rückstand, heute aufgeholt.

Europäische Halbleiterproduzenten:

Bedeutende EU-Unternehmen: Philips, ST Microelectronics (früher: SGS-Thomson) und Siemens (Infineon); Zweigbetriebe in Ostasien: (Thomson: Wafer-Produktion in Singapur; Philips: Joint Venture in China, Siemens: Zweigwerke z.B. in Malaysia).

Siemens unternahm in den 90er Jahren (mit staatlicher Unterstützung) große Anstrengungen, um in der Halbleiterfertigung international mitzuhalten. Siemens verbesserte seine Weltmarktposition in der Halbleiterindustrie: 1993: Rang 19, 1999: Rang 8.
Anfang/Mitte der 90er Jahre wurden moderne Fertigungsstätten in Regensburg, Dresden und NE-England bei Newcastle errichtet. Dabei jedoch hohe Verluste (Überkapazitäten, koreanische Anbieter unterboten Weltmarktpreise wg. Asienkrise, teures brit. Pfund); Folge: Siemens beschloss, das hochmoderne Werk in NE-England wieder zu schließen (liberale britische Wirtschaftspolitik erleichtert nicht nur Investitionen, sondern auch Desinvestitionen!).

Seit Frühjahr 1999 hat Siemens den Halbleiterbereich ausgegliedert ("Infineon Technologies") und im Frühjahr 2000 an die Börse gebracht. Gründe: Konzentration auf ertragreiche Kerngeschäfte, stark schwankende Ertragslage (1997/98: 1,2 Mrd DM Verlust; 1998/99 50 Mio DM Überschuss). Umstrukturierung bei Infineon: Reduktion des konjunkturanfälligen Speicherchip-Bereichs, Ausbau der ASIC-Bereichs ("Logik-Chips").

Fazit: Elektronikindustrie dürfte derjenige Industriezweig sein, der die größte Dynamik aufweist: jährlicher Preisverfall in vielen Produktgruppen ca. 10%, Produktivität steigt jährlich um ca. 7%, extrem rasche Folge von Innovationen; dadurch wachsende Abstände zwischen führenden Unternehmen und Nachzüglern; Trend: Europäische Unternehmen waren in den 70er und 80er Jahren vielfach Nachzügler hinter nordamerikanischen und japanischen Unternehmen. Für europ. Rückständigkeit sind nach einer McKinsey-Studie weniger die hohen Lohnkosten verantwortlich (nur ca. 5-10% der Kostenlücke), sondern unzulängliche Produktpolitik und ineffiziente Unternehmensorganisation. Seit den 90er Jahren holen europäische Unternehmen jedoch wieder auf.
 
 

Neuere Tendenzen:

Marktaufteilung zwischen Industrie- und Haushaltselektronik wird in Frage gestellt durch Funktionsannäherung von Computer und Fernsehern. Filme und Musik werden digital verarbeitet und übertragen. Damit werden Unternehmen der verschiedenen Branchen zu Konkurrenten.

Gruppe Unterhaltungselektronik (1. Matsushita, 2. Sony, 3. Philips, 4. Thomson):

80er Jahre Strategien: HDTV-Entwicklung (hohe Kosten, traditionelle analoge Technologie, wenig Erträge, heute nicht mehr Schwerpunkt der Entwicklung); Kauf von Film- und Musikstudios in Hollywood durch Matsushita und Sony: hohe Verluste, da branchenfremd. Allgemeine Problem: Innovationskraft sinkt, nach Video und CD Innovationslücke.

Neu: Entwicklung der digitalen Bildplatten, die künftig wohl das Videoband ersetzen werden. Zur Zeit Kampf um technische Standards für die digitale Bildplatte (DVD = digital video disc) zwischen 2 Gruppen: a) Sony/Philips; b) Toshiba/Time Warner/Matsushita/Thomson.

Zweite Gruppe: Computer-Hersteller: Wandel der PCs zu Multimedia-Geräten, z.B. Compac, Apple usw.

Dritte Gruppe: Videospielgeräte-Hersteller (Kombination Hard- und Software) von Nintendo und Sega (durch moderne Chips immer leistungsfähiger).

Vierte Gruppe: Softwareunternehmen wie Microsoft.

Fünfte Gruppe: Medien-Konzerne wie Time-Warner, Walt Disney, Bertelsmann.

Sechste Gruppe: Internet-Unternehmen wie AOL, Yahoo usw.

Neue Strategien insb. der Unterhaltungselektronik-Unternehmen zur Fusion Computer/Unterhaltungselektronik/Software.

1) Allianz Sony/Microsoft: Standards für Datenautobahnen mit Großcomputern, die digitale Filme speichern und die im Wohnzimmer von einem integrierten PC/Fernseher abgerufen werden können.

2) Allianz Philips/Matsushita/Sony: Gemeinschaftsunternehmen "General Magic" soll Basissoftware für neue Geräte und Datennetze entwickeln.

3) Allianz Philips/IBM: Entwicklung und Produktion von Chips für neue elektronische Unterhaltungsgeräte (verkabelter PC/Fernseher).

Wer wird gewinnen? Unterhaltungselektronikunternehmen oder Computerunternehmen? Erstere hinken technisch hinterher, haben aber größere Marktmacht und größere "Präsenz in den Wohnzimmern", d.h. auf den Massenmärkten! Die Stärke der anderen ist die größere technologische Dynamik und Innovationskraft. Matsushita und Sony sind jedenfalls überzeugt, dass sie das Massen-Computergeschäft bekommen werden und nicht umgekehrt IBM, Compac, Apple etc. das Unterhaltungsgeschäft. Verlierer sind wahrscheinlich die traditionellen Gerätehersteller.

Sony verkündete 1999 eine radikal neue Unternehmensstrategie (Quelle ZEIT 29.07.99):
Traditionelle Hardware-Geräte der Unterhaltungselektronik wie Fernseher, Walkmen, Disc-Men, CDs usw. verlieren drastisch an Bedeutung. Eine Welle neuer Geräte ist in Entwicklung bzw. bereits auf dem Markt: Videokonsolen ("Playstation 2") (Musik, Spiele, Internet), Set-Top-Boxen (zum Aufsatz auf digitale Fernseher, zum On-line-Kauf von Musik), neue Kameras (digitale Aufzeichnung von Bildern und Videosequenzen, die über Laptop oder Fernseher gezeigt und über Internet versandt werden können) usw.

Strategische Überlegung: Hardware bleibt wichtig, wird aber immer billiger; der Schwerpunkt der Wertschöpfung verschiebt sich auf "Software": Musik, Filme, Spiele, Fernsehprogramme, Finanzdienstleistungen usw. Die Hardware-Geräte ermöglichen systematische Vernetzung (PC, Fernseher, Stereoanlage, Internet, Satellitenkommunikation, Kabelkommunikation), sie werden von Sony bewusst billig bereitgestellt; das Geld wird dann mit der Software verdient.

Folge: Bis 2003 sollen 15 der z.Zt. noch 70 Fabriken geschlossen werden, darunter auch das einzige Sony-Werk in D in Fellbach; 17.000 Arbeitsplätze entfallen (10% des Bestandes). Sony-Chef Idei: "Dies ist der Beginn der dritten Revolution nach der Renaissance und der industriellen Revolution."

Januar 2000: AOL fusioniert mit Time Warner zu einem integrierten Medien-Internet-Konzern. Dabei besonders bemerkenswert: Das weltweit größte Internet-Unternehmen AOL wurde an der Börse mit 300 Mrd DM bewertet und damit doppelt so hoch wie Time Warner, obwohl Umsatz und Gewinn von Time Warner viel größer sind. Dadurch behielt AOL bei der Fusion die Oberhand.

AOL: in den letzten Jahren rasant gewachsen, ca. 20 Mio Internet-Abonnenten, kaufte 1999 Netscape; damit dominierend als sog. "Internet-Portal";

Time Warner = größter amerikanischer Medienkonzern mit Verlagen, Zeitungen, Film- und Musikproduzenten, TV-Sendern, insb. CNN.

Damit bietet Time Warner die "Inhalte", AOL jedoch den zukunftsträchtigen Internet-Kanal zum Konsumenten. Das entstehende Unternehmen gehört nach dem Börsenwert zu den weltgrößten Unternehmen überhaupt, noch vor Ford und dem wertvollsten deutschen Unternehmen, der Dt. Telekom.

Kapitel 13 Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung

Bisher schwerpunktmäßig betrachtet: a) Faktoren der Globalisierung, z.B. Technologie, Politik usw., b) anhand sektoraler Beispiele Zusammenwirken der Faktoren.

Thema dieses Kapitels: Auswirkungen. Diese werden sowohl in der politischen Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft sehr kontrovers eingeschätzt:
Einerseits: TNCs als Blutsauger des Monopolkapitals, andererseits: als arbeits- und einkommensschaffende Retter vor Armut, Hunger und Tod.

Bei den Auswirkungen müssen wir trennen zwischen a) Gastland ("host economy") und b) Heimatland ("home economy").

a) Auswirkungen auf "Gastländer"

Vorbemerkung: Unterscheidung zwischen Heimat- und Gastland wird mit zunehmenden Quer-Investitionen immer bedeutungsloser, d.h. TNCs verlieren zunehmend ihren "nationalen" Charakter und werden zu "globalen Unternehmen", deren Vorstände beispielsweise international zusammengesetzt sind; dieser Prozess hat erst begonnen.

Auswirkungen auf Gastland sind schwierig zu erfassen und hängen von vielen Faktoren ab: Fig. 12.1

Auswirkungen hängen zunächst ab von der Form des Markteintritts:

  1. Neugründung eines Betriebs (meist von Politik favorisiert, da Kapitalzufuhr, aber nicht unbedingt die günstigere Variante),
  2. Erwerb eines bestehenden Betriebs (für TNC oft der einfachere Weg, aber in EL fehlen oft geeignete Übernahmekandidaten),
  3. Joint venture, teils mit staatl., teils mit privaten Partnern (von vielen EL favorisiert, um Einfluss zu behalten).
Zweiter Einflussfaktor: Funktion: 1. Ausbeutung natürlicher Ressourcen, 2. Produktion für Gastlandmarkt (Importsubstitution), 3. Produktion für Export, z.B. um billiges Arbeitskräftepotential zu nutzen.

Dritter Einflussfaktor: Merkmale wie Industriezweig, Technologie, Betriebsgröße, Grad der Verflechtung.

Felder der TNC-Auswirkungen:

1. Kapital und Finanzen

Kapitalzufluss in EL in 50er bis 70er Jahren überwiegend staatliche Gelder (Entwicklungshilfe). In den 90er Jahren fast 3/4 private Gelder, insb. Direktinvestitionen (90 Mrd $), Kredite (55 Mrd $) und Portfolio-Anlagen (22 Mrd $). Dagegen öffentl. Gelder nur noch 64 Mrd $ (Schenkungen 33 Mrd $, Kredite 31 Mrd $).

In der Regel zumindest anfänglicher Kapitalzufluss; dies besonders wichtig für EL mit Kapitalarmut. Andererseits: Kapitalrückfluss? Wie und wo werden die erzielten Gewinne verwendet? Übersteigen die Gewinntransfers den Kapitalzufluss? Können die Gastländer die Zweigbetriebe fair besteuern?

Möglichkeit der TNCs zum "Transfer pricing", d.h. zur gezielten Manipulation von Preisen für Lieferungen zwischen den Betrieben eines TNCs, um Gewinne dort entstehen zu lassen, wo sie erwünscht sind, z.B. dort, wo sie am wenigsten besteuert werden.

Beispiel Deutsche Bank.

Beispiel Pharmaindustrie in Kolumbien: Von den tatsächlichen Erträgen entfielen 3,4 % auf erklärte Gewinne nach Steuern, 14 % auf Abgaben/Steuern an Gastland, 82,6 % auf "overpricing", d.h. überhöhte Preise für Lieferungen zum versteckten Gewinntransfer.

Anderes Beispiel: "Underpricing" bei Export von Tropenholz von einer Pazifikinsel, um Steuerzahlungen zu vermeiden.

Problem des transfer pricing ist in EL besonders akut, da diese besonders betroffen sind und kaum Kontrollmöglichkeiten haben; es ist jedoch nicht auf EL beschränkt.

Z.B. Studie in USA 1990: von 40 untersuchten ausländischen Zweigbetrieben zahlte rund die Hälfte seit 10 Jahren keine Steuern! Häufig: versteckte Gewinntransfers in "Offshore-Länder", d.h. Steuer-Oasen, wo die Holdings der TNCs ihren Sitz haben wie z.B. Cayman-Islands und Bahamas in der Karibik oder europ. Zwergstaaten wie Liechtenstein oder Zug in der Schweiz (kantonale Steuerhoheit).

Weiterer Aspekt der Kapitalbilanzierung: Incentives der Staaten, Regionen bzw. Gemeinden, um FDIs anzuziehen: Subventionen für Grundstücke, Kapitalzuschüsse für Investitionen usw. Ziel: a) nach einigen Jahren der Anfangsverluste Erzielung von Steuereinnahmen, b) Multiplikatoreffekte, z.B. durch Aufbau von Zulieferindustrien. Aber Bilanz?
 
 

2. Technologie; dabei drei Problemkreise:

a) Technologietransfer?

Einerseits: Ressource "technisches Wissen" diffundiert international am leichtesten innerhalb von TNCs und nicht zwischen verschiedenen Unternehmen. TNC-FDIs sind einer der wichtigsten Kanäle des internationalen Technologietransfers, z.B. von USA nach Europa in 50er und 60er Jahren, z.B. von USA und Japan in die NICs.

Andererseits: TNCs hüten eifersüchtig ihr technisches Wissen auch in Gastländern; es bleibt innerhalb des TNCs. Außerdem betreiben Zweigbetriebe häufig keine oder nur wenig F&E, insb. nur zur technischen Anpassung an Standards der jeweiligen Absatzmärkte.

b) Angemessenheit der Technologie?

Da F&E der TNCs meist in den hochentwickelten Ländern angesiedelt ist und die Techno-logien unter den dortigen Randbedingungen entwickelt werden, stellt sich die Frage der Angemessenheit solcher Technologie für die EL. Produktionen sind meist kapitalintensiv, erfordern wenige, aber hochqualifizierte Arbeitskräfte. In EL jedoch viele wenig qualifizierte Arbeitskräfte und wenig Kapital.

Sind die Produkte für die Bedürfnisse der EL angemessen? Es gehört zum System der globalen Ökonomie, dass TNC-Produkte auch global vermarktet werden, d.h. mit absatzfördernden Maßnahmen, notfalls zur Stimulierung der Nachfrage, z.B. bei prestigehaltigen Luxusgütern. Andererseits: Es gibt auch "sinnvolle" TNC-Produkte wie verbessertes Saatgut, Düngemittel, Medikamente. Problem: Der Markt ist "blind" für solche normativen Aspekte.

Schließlich in der politischen Öffentlichkeit viel diskutiert: Verlagerung der Produktionen von TNCs in Länder mit niedrigeren Umwelt- und Sicherheitsstandards. Stichworte: "Umwelt-Dumping" und Chemiekatastrophe der US-Firma "Union Carbide" im indischen Bhopal 1984. Tatsächlich: bei vordergründiger Betrachtung verursachen hohe Umwelt- und Sicherheitsstandards zunächst Kosten; auf längere Sicht können sie aber auch zu neuen technologischen Vorsprüngen führen. Entgegen vielfach polemischen Äußerungen (und Drohungen z.B. der Chemieindustrie) spielen bisher solche Faktoren keine gravierende Rolle.

c) Kosten des Technologietransfers?

Wie sind die Kosten des Technologietransfer via TNCs zu bewerten? Wichtigste Alternativen: 1) per Lizenzen, 2) per Eigenentwicklung. So haben Japan und Korea ausschließlich per Lizenzen den technologischen Rückstand gegenüber den Industrieländern aufgeholt. Aber ist dieser Weg gangbar in anderen EL? Der japanische Weg setzt potente Lizenznehmer und eine strategische Politik voraus. Beides fehlt in den meisten EL.
 
 

3. Handel und Verflechtungen

Auswirkungen auf die Handels- und Zahlungsbilanz des Gastlandes sind vielfältig: Exporte und importsubstituierende Produktionen verbessern die Bilanz, Importe zum Absatzmarkterschließung verschlechtern die Bilanz. Noch wichtiger: Grad der Integration in die nationale Ökonomie des Gastlandes, d.h. Aufbau von Lieferbeziehungen mit einheimischen Unternehmen (wenn ja, dann auch Technologietransfer; wenn nein, dann TNC-Enklave).

Generelles Ziel vieler Länder: FDIs von TNCs anzuziehen und dann versuchen, die Verflechtungen innerhalb des Landes nach und nach zu steigern:

a) backward linkages = Zulieferverflechtungen: z.B. durch "local content"-Politik der Regierungen des Gastlandes. Ob diese Strategie Erfolg hat, hängt von der Art des TNC-Betriebs ab (vgl. Fig. 12.1), von der generellen TNC-Strategie, aber auch von der "bargaining power", d.h. der Verhandlungsmacht der Gastlandregierung.

b) forward linkages = Absatzverflechtungen: insg. weniger wichtig, aber relevant bei Rohstoffproduzenten, z.B. um die Verhüttung bzw. Raffineriestufen im eigenen Land aufzubauen.

Empirische Befunde: sehr heterogen. Generelle Trends: Linkages sind größer in IL als in EL; ferner abhängig von der Zeit, d.h. junge Betriebsgründungen zeigen weniger Linkages. Besonders wenig Linkages: Firmen in den Exportindustriezonen bzw. Sonderwirtschaftszonen der EL = reine Enklaven. Es ist jedenfalls ein langwieriger und schwieriger Weg, über Linkages die TNC-FDIs in die Volkswirtschaften der Gastländer zu integrieren.
 
 

4. Industriestruktur und Unternehmerschaft

In vielen EL trägt die Globalisierung der Weltwirtschaft zur Dualisierung der Volkswirt-schaften bei: TNC-Zweigbetreiebe sind häufig größer, technologisch überlegen und wettbewerbsfähiger als die einheimischen Unternehmen.

a. Auswirkungen auf Konzentrationsgrad der Industrie: größere Wettbewerbsfähigkeit der größeren TNCs.

b. Auswirkungen auf Wettbewerbsposition der einheimischen Firmen: durchaus ambivalent: Konkurrenz kann anregend, aber auch zerstörerisch sein.

c. Auswirkungen auf die Bildung neuer einheimischer Firmen: ebenfalls ambivalent: einerseits hindernd, andererseits auch fördernd: z.B. Linkages, Spin-offs.
 
 

5. Beschäftigung

a) Umfang der Beschäftigung

Direkte Beschäftigungseffekte: Schätzung Mitte 80er Jahre: Fig. 12.2: Insg. ca. 65 Mio, davon 43 Mio in Heimat-IL; 15 Mio in anderen IL; 7 Mio in EL. Diese aggregierte Zahl sagt allerdings wenig, da (1) die Beschäftigungseffekte sehr ungleich verteilt sind (z.B. kaum in Afrika, jedoch konzentriert in den NICs) und da (2) die indirekten Effekte noch wichtiger sind.

b) Art der Beschäftigung (Qualifikation, Geschlecht)

Sehr unterschiedlich nach Branche, Unternehmen und Region. Generell: TNC-Betriebe in EL sind meist Produktionsbetriebe mit niedrig entlohnten Arbeitsplätzen für einfache Fertigungsberufe, zumeist ohne qualifizierte Ausbildung; die wenigen Führungspositionen sind oft mit Ausländern, oft aus dem Mutterland des TNCs besetzt. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass mit der Zeit der Anteil einheimischer Beschäftigter in qualifizierten Jobs zunimmt. Extrem: Exportindustriezonen mit hohem Anteil niedrig entlohnter, überwiegend weiblicher Arbeitskräfte ohne Ausbildung.

c) Dies leitet bereits über zu: Lohnniveau und Einstellungspolitik

Populäre Sichtweise, oft durch Gewerkschaften: TNCs beuten billige Arbeitskräfte aus. Diese Sichtweise ist vor dem Hintergrund der Konkurrenz mit Hochlohnländern verständlich. Aber: Was ist "gerechte" Entlohnung? Tatsächlich: Von TNCs gezahlte Löhne und Arbeitsbedingungen liegen tendenziell über dem jeweiligen nationalen Niveau!

Gezielte, professionelle Einstellungspolitik der TNCs: Vor allem beim Aufbau einer neuen Stammbelegschaft erfolgt Abwerbung von Fachkräften; nur wenige Einstellungen aus dem Pool der Arbeitslosen.

d) Arbeitsbeziehungen

Kontrovers diskutiert. Beobachtung, dass in vielen "alten" IL ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad mit der fordistischen Produktionsstruktur korreliert; solche Regionen werden häufig von TNCs gemieden. Hingegen ist der Organisationsgrad der Arbeiterschaft in vielen Schwellenländern meist sehr gering; dies kann ein zusätzlicher Standortfaktor für globale Investitionsentscheidungen sein.

Dieses Bild ist jedoch zu vereinfacht: Rolle der Gewerkschaften ist zu differenzieren, z.B. in D häufig sehr kooperativ; empirische Untersuchungen zeigen, dass der Einfluss des gewerkschaftlichen Organisationsgrades nicht so eindeutig und klar ist wie oft angenommen. Außerdem hat sich herausgestellt, dass die Arbeitsbeziehungen in TNC-Betrieben tendenziell besser sind als in einheimischen Unternehmen (mögl. Gründe: überdurchschnittliche Löhne, fortgeschrittene Personalführung nach westlichem Standard).

e) Stabilität?

Populäre Sicht: TNCs können kurzfristig auf veränderte Standortbedingungen reagieren und Produktion in ein anderes Land mit niedrigeren Arbeitslöhnen verlagern. Desh. Faktor der Instabilität für das Gastland.

Empirische Studien: Diese Sicht ist zu einfach. Hinsichtlich Beschäftigungsanpassung gibt es keine wesentlichen Unterschiede zu einheimischen Unternehmen! Tendenziell anders in EL: Dort spielen insbesondere Faktoren der politischen Instabilität eine große Rolle; d.h. dort sind die allgemeinen Rahmenbedingungen mittel- bis langfristig oft nur schwer vorauszukalkulieren. Große TNCs betreiben desh. eine bewusste Risikostreuung: Sie begrenzen den Anteil an Produktionen in "riskanten" EL-Standorten.
 
 

Fazit der Auswirkungen:

Verallgemeinerungen sind schwierig! Kein Determinismus, also keine zwingenden Ursache-Folgen-Ketten! Es drohen jedoch zwei Gefahren:

a) Abhängigkeit

D.h.: Partieller Verlust von Souveränität und Autonomie des Gastlandes. Ursache: TNCs und nationale Politik haben eigene, teilweise divergierende Zielsysteme. Z.B. können TNCs durch "transfer pricing" die nationale Politik unterlaufen. Entscheidungen über Betriebsgründungen und -schließungen fallen in entfernten Konzernzentralen.

Besonders wichtig: technologische Abhängigkeit; wenn ein Land die Fähigkeit verliert, Innovationen hervorzubringen, verliert es seine Wettbewerbsfähigkeit.

b) Verstümmelung ("Truncation") bzw. Aushöhlung auf zwei Ebenen:

1. Ebene der Unternehmen: Eigenschaft von Zweigbetrieben ohne bzw. mit nur wenigen dispositiven Funktionen (Leitungsfunktionen, F&E);

2. Bei hohem Anteil von TNC-Zweigbetrieben in einer Volkswirtschaft entsteht eine "truncated economy" oder "branch plant economy". Das Beispiel Kanada zeigt, dass dies nicht notwendigerweise mit Einkommens- und Wachstumsverlusten verbunden ist; aber zumindest langfristig resultiert daraus eine Innovations- und Wettbewerbsschwäche.

Insg.: Pauschale Verteufelung von FDIs und TNCs wäre völlig abwegig. Statt Schwarz-weiß-Malerei: komplexe, teilweise ambivalente Auswirkungen. Generell: TNC-FDIs bilden einen wesentlichen konstituierenden Faktor der Weltwirtschaft; sie sind für die IL und insbesondere für die EL sowohl Chance als auch Gefahr. Aufgabe der IL-Politik: Potenziale nutzen und Gefahren möglichst vermeiden, insb. technologische Abhängigkeit und strukturelle Verstümmelung.

Dabei ist jedoch eine Erfahrung inzwischen weithin akzeptiert:

Eine Strategie der Dissoziation, also der Abkoppelung vom Weltmarkt, bringt keinen Erfolg. Alle Alternativmodelle zur Globalisierung sind gescheitert. Die EL, die erfolgreich waren, haben auf den Weltmarkt gesetzt!

Aber auch eine bedingungslose Integrationsstrategie garantiert noch längst keinen Erfolg im Sinne von dauerhafter "Entwicklung", denn bekanntlich garantiert Wachstum noch nicht Entwicklung. Entscheidend ist vielmehr die politische Ausgestaltung mit zwei Schwerpunkten:

1) Wachstums- und Technologiepolitik, z.B. nach den erfolgreichen Vorbildern Japan, Korea, Taiwan, Malaysia;

2) Verteilungs- und Sozialpolitik, um die mit dem Wachstum unvermeidlich entstehenden sozialen Verwerfungen aufzufangen, z.B. nach den Vorbildern Europa und Japan, bedingt auch nach Korea und Taiwan, jedoch nicht Malaysia!

Das alte Modell der "drei Welten" (erste, zweite, dritte Welt) ist endgültig obsolet, und zwar nicht nur wegen des Verschwindens der sozialistischen "zweiten Welt", sondern auch wegen der zunehmenden Heterogenisierung der sog. dritten Welt!

Inzwischen ist die "Eine Welt" längst Realität, aber nicht so, wie es sich Friedensbewegte und alternative Gruppen vorgestellt haben, sondern als disparitärer weltwirtschaftlicher Verflechtungsraum! In dieser Einen Welt gibt es eine Reihe von Tellerwäscherkarrieren (Ost- und Südost-Asien), aber auch einige, die nicht einmal zum Tellerwaschen gebraucht werden (Afrika). Erhard Eppler: (früherer deutscher Entwicklungsminister): "Wenn Afrika heute im Meer versänke, würde die Frankfurter Börse kaum reagieren."
 
 

b) Auswirkungen auf "Heimatländer"

Tiefgreifende Polarisierung der Gesellschaften und Ökonomien, insb. ausgelöst durch den Exodus der transferierbaren Tätigkeiten (primär Produktion, aber teilw. aus Dienstleistungen).

J. Rifkin: Dadurch Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen:

a) gut ausgebildete Elite von ca. 20%, gut bezahlt, anspruchsvolle Tätigkeiten (meist Informationsverarbeitung);

b) Basis von ca. 80%, einfache Tätigkeiten in Produktion und insb. Dienstleistungen, schlecht bezahlt, großenteils befristete, ungesicherte Jobs.

Hier wurde nur ökonomische Dimension des Themas betrachtet (diese ist komplex genug!). Globalisierung der Ökonomie hat weitreichende andere Auswirkungen, z.B. auf den sozialen Wandel, auf die Lebensverhältnisse, auf die kulturelle Situation von Ländern und Völkern, auf das politisches System.

Z.B. Arbeitsverhältnisse: Fordistisches Modell der Vollbeschäftigung mit festen, gesicherten Arbeitsverhältnissen ist passé. Gewerkschaften und Tarifverträge verlieren an Bedeutung. Einfache Tätigkeiten unterliegen der globalen Konkurrenz; dadurch starker Druck zur Verbilligung; starke Lohnspreizung mit dem Resultat krasser sozialer Disparitäten.

Z.B. Politik: Im Verhältnis zur Logik der globalisierten Ökonomie verliert die Politik an Autonomie und Bedeutung (u.a. deshalb, weil die Politik immer noch weitgehend national organisiert ist). Der globale Wettbewerb wird als quasi naturgesetzlich gegebene Rahmenbedingung für Gesellschaft, Politik und Kultur aufgefasst; d.h. zweierlei:

1) Die globalisierte Ökonomie ist selbst nicht politisch steuerbar; sie ist eine unabhängige Determinante;

2) Gesellschaft und Politik müssen sich den Randbedingungen und Erfordernissen der globalen Ökonomie unterwerfen; der Staat wird zum "Wettbewerbs-Staat", der versucht (bzw. vermeintlich versuchen muss), national (bzw. regional und lokal) möglichst gute Standortbedingungen für das global fluktuierende Kapital zu schaffen und zu erhalten; das heißt: Deregulierung, Abbau sozialer Leistungen, möglicherweise auch niedrige Umwelt-Standards.

Hierzu vgl. ansatzweise Kap. 13 in Dicken: "Making a living in the global economy: Problems of adjusting to global shift".

Was ist die Globalisierung?

Ein globales Nullsummen-Spiel? Sind die IL die Gewinner und die EL die Verlierer? Sind die NICs die Gewinner und andererseits sowohl die alten IL und die LDCs die Verlierer?

Ein globales Gewinn-Spiel? D.h. können aus den Prozessen der Globalisierung alle (oder wenigstens doch die meisten) Partner Gewinne erzielen? Dies ist die These der traditionellen ökonomischen Theorie.

Oder sind Gewinner und Verlierer möglicherweise nicht nach Ländern bzw. Ländergruppen, sondern ganz anders verteilt? Sind die Gewinner möglicherweise a) die TNCs, b) die ca. 20% Beschäftigten in der höherwertigen, meist dienstleistenden Tätigkeiten in den IL und c) die Mittel- und Oberschichten in der NICs? Sind die Verlierer a) die 80% Basisbeschäftigten in der IL, b) die marginalisierten Bereiche der Gesellschaft in der NICs und c) die LDCs?